Märchenmord
Sprachblasen . »Aber wie? Wie kann sie dich beschützen, wenn sie tot ist? « »Damit. « Najah ergriff Ginas Hand und Gina spürte etwas kaltes Harte s zwischen ihren Fingern . »Was ist das? « »Das Auge der Fatima. « Gina schüttelte den Kopf. »Ein Anhänger? Blödsinn. Wie kan n dich ein Amulett beschützen! Das ist wirklich Bullshit. « Sie hörte Najah im Dunkeln leise lachen . »Eben nicht. Das ist ja das Wunder. Ich trage es immer um meinen Hals, und als Karim mit dem Messer auf mich losging, Allah, ich spürte einen festen Stoß und ließ mich fallen. Ich dacht e nur noch: Das ist das Ende. Das ist der Tod. « »Das dachte ich auch«, seufzte Gina . »Aber das Messer ist an dem Stein abgeprallt. Ich habe es nich t gewusst. Ich war wie gelähmt. Und, wie ich glaube, kurz ohnmächtig. Ich bin wohl mit dem Kopf auf der Tischkante aufgeschlagen. « »Ja, das habe ich gesehen. « »Es erschien mir ganz natürlich, da am Boden zu liegen und au f den Tod zu warten. « »Aber du warst doch nicht tot«, widersprach Gina .
»Das wusste ich aber nicht. Mann, ich hab doch keine Ahnung, wie man das macht. Oder weißt du, wie es sich anfühlt zu sterben?« »Ehrlich gesagt, nicht.« »Eben.« Im ersten Moment dachte Gina, sie hätte sich verhört, aber dann war sie sich sicher. Najah lachte leise. »Ich dachte wirklich, ich sei tot.« Gina konnte nicht anders. Sie musste ebenfalls kichern. Es war Hysterie. Sie waren einfach erleichtert, dass sie in Sicherheit waren. »Und Karim hat es nicht bemerkt?« »Nein. Ich habe ihn gehört, wie er aus dem Zimmer ging und dachte nur, Allah sei Dank, er lässt mich alleine sterben. Ich muss es nicht unter seinen Augen tun.« »Ja, das verstehe ich«, erwiderte Gina und verstand es wirklich. »Dann, vielleicht zehn Minuten später, rieche ich plötzlich Rauch. Es ging alles ganz schnell und das Feuer kam immer näher.« »Oh Gott. Spätestens in diesem Moment wäre ich gestorben vor Angst.« »Ich stand unter Schock. Und da bekommt man nur die Hälfte mit. Man hat keine Zeit für Panik.« Najah schüttelte langsam den Kopf. »Ich dachte nur, nein, das kann nicht sein. Ich bin nicht tot und ich will auch nicht sterben. Irgendwie bin ich aufgestanden und einfach aus der Wohnung gerannt.« »Aber wohin bist du gegangen? Wo warst du die ganze Zeit? Weißt du eigentlich, wie viele Leute deine Leiche suchen? Ich war doch sicher, dass du tot bist.« »Ich bin einfach die Treppe hinuntergerannt.« Najah schloss die Augen, als könnte sie sich so besser erinnern. »Und stand plötzlich im Hinterhof. Ich kannte mich nicht aus. Wusste nicht, wo ich war. Ich wollte einfach nur weg und bin durch das kleine Tor auf den Weg gelaufen, der hinten an den Häusern vorbeiführt. Plötzlich stand ich vor dem Schuppen.« »Welcher Schuppen? Du meinst das Lager vom Gemüseladen?« Najah nickte. »Monsieur Saïd war gerade dabei, die Kisten von der Straße zu räumen, als er mich sah. Es war einfach unglaublich. Er hat mich gesehen und gewusst, in welcher Gefahr ich bin. Ich weiß nur noch, dass er meinen Arm ergriff und mich zu sich in den Schuppen zog.« »Und dann hast du verstanden, dass du lebst!«, stellte Gina fest. » Oui . Und später hat Monsieur Saïd erzählt, dass Karim nur wenige Minuten vor mir aus dem Haus gerannt war. In diesem Moment hätte er gewusst, dass etwas passiert war.« »Dann warst du also die ganze Zeit dort im Lager?« »Ja. Er hat mir geholfen. Mir diese Kleider gegeben und die Haare geschnitten, damit ich aussehe wie ein Junge. Damit niemand mich erkennt!« Sie schwiegen. »Aber«, fragte Gina schließlich, »warum bist du heute Nacht hierher zurückgekommen?« Sie spürte Najahs Zögern, bevor diese antwortete. »Die Briefe…ich wollte Juliens Briefe holen. Wenn ich ihn schon nie wiedersehen werde, wollte ich wenigstens etwas zur Erinnerung haben.« »Die Briefe sind bei mir …«, antwortete Gina. »Sie sind in Sicherheit. Darauf kannst du Gift nehmen.« »Allah sei Dank«, hörte sie Najah seufzen. »Also«, stellte Gina fest, »gibt es keinen Grund, hier länger im Dunkeln auf dem harten Boden zu sitzen. Wir sollten so schnell wie möglich abhauen. Diese Wohnung ist mir unheimlich. Hier ist schon zu viel geschehen.«
*
Gina und Najah verließen die Wohnung des Teppichhändlers, der nichts davon ahnte, was in seiner Wohnung passiert war, durch die Vordertür. Das Nachtleben auf der Rue Daguerre war nun in vollem Gang. Die Menschen in den Cafés, die knatternden
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