Maeve
Blätterstückchen über dem Becherboden kreisten. „Eine Trauerzeit“, sagte sie langsam. „Die Cludair waren so erleichtert, als ich wegging. Ich konnte nicht anders – ich mußte daran denken, daß ich keine Heimat habe. Keinen Ort, wo ich wirklich hingehöre. Ich mochte sie, weißt du.“
„Ich weiß.“
„Ich habe gedacht, sie mögen mich auch.“
Er berührte sie am Arm. „Das tun sie, Aleytys. Tipylexne, Qilasc, sie alle – sie sahen in dir eine Freundin.“
„Trotzdem … sie waren froh, als wir weggingen. Das tat weh.“ Sie verstummte wieder, die Augen blind auf den Becher gerichtet, den sie jetzt ruhig zwischen den Handflächen hielt.
Als sie wieder sprach, kamen ihre Worte langsam, die Silben dehnten sich unter der schweren Last ihrer Trostlosigkeit. „Ich habe seit zwei Jahren nicht mehr so geheult. Manchmal habe ich ein bißchen in Alpträumen geweint, aber am Tag hatte ich trockene Augen. Ich glaube, ich habe um meine verlorene Unschuld getrauert, um die Freunde aus meiner Kindheit, die ich nie wiedersehen werde, um die drei Männer, die ich geliebt und bis zu ihrer Vernichtung benutzt habe.“ Sie stellte den Becher neben sich und begann damit, die Handflächen auf den Oberschenkeln auf und ab zu reiben. „Vajd … Vater meines Babys, mein erster Geliebter, mein Lehrer und mein Gewissen. Alles Gute, was ich in mir trage, verdanke ich ihm. Die Augen wurden ihm aus dem Kopf gerissen – meinetwegen. Nach ihm kam Miks Stavver, mein Sternendieb. Ein Einzelgänger und ein kluger Mann. Ich habe ihn benutzt. Ich habe ihm mit Wahnsinn gedroht, habe ihn gezwungen, mein gestohlenes Baby zu suchen. Er wollte es nicht tun. Ich wüßte gern, wo er jetzt ist, ob er meinen Sharl, mein Baby, gefunden hat. Von ihm bin ich zu meinem sanften Nayid Burash gekommen. Er … Ich … ich habe gesehen, wie er einen halben Meter von mir entfernt zu Asche verbrannt wurde … Er lief los, um mich vor Gefahr zu warnen. Mein Gott, er rannte los, und die Wächter haben ihn niedergebrannt. Zwei Schritte von mir entfernt. Zwei verdammte Schritte.“ Sie sah auf Gwynnors Hand hinunter, die auf ihrem Arm ruhte. „Du siehst, was mit den Männern passiert, die mir zu helfen versuchen.“ Sie schüttelte seine Berührung ab, rieb die Hände über das Gesicht. „Nun, das war’s. All die Schrecken und Nöte und Erbärmlichkeiten, die zu meinem jetzigen Aufenthalt dazukommen. Und das alles ist heute morgen auf mich hereingestürzt.“
Er nickte. „Ich kenne mich ein bißchen damit aus, wie das ist, wenn man Freunde verliert. Und Geliebte.“
„Dein Lehrer.“
„Ja.“ Er hielt ihre Hand zwischen seinen Händen, und seine höhere Körpertemperatur legte eine Ansammlung beruhigender Wärme um ihre Finger. „Du machst weiter?“
„Was könnte ich sonst tun? Ich muß mein Baby finden.“
„Wie lange wirst du in der Stadt bleiben?“
„Kommt darauf an, wie bald ich auf ein Schiff kommen kann. Einen Tag. Eine Woche. Einen Monat.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist schwer, Pläne zu schmieden, wenn man keine Fakten hat. Was ist mit dir?“
„Ich muß Frieden schließen mit meiner Familie, sehen, was zu Hause vorgeht. Ein wenig nachdenken.“ Ein paar große Tropfen schlugen auf seinen Rücken. „Der Regen ist da.“
Sie lachte unruhig. „Er kündigt sich an.“
Gemeinsam ertränkten sie die letzte Glut des Feuers und schoben alles andere in die Hütte. Nur den Wassertopf und die Becher ließen sie draußen stehen, um darin soviel Wasser wie nur möglich einzufangen.
Zweites Buch
Die Stadt
1
Gwynnor warf die Ruderpinne herum und lenkte das Boot durch die Strömung auf den schlichten Kai zu. Als das Boot elegant an die Anlegestelle heranglitt, sprang Aleytys hinaus und schlang das Bugtau um den Ankerpfosten. Gwynnor sah zu, wie sie sich aufrichtete und den Kopf zurückwarf, um die frische Seebrise durch ihr leuchtendes Haar wehen zu lassen. Er lächelte über die unbewußte Leichtigkeit, mit der sie mit dem Problem, sich in einem schwankenden Boot zu bewegen, fertig wurde. Zwei Wochen segeln hatten sie das lernen lassen. Er beugte sich vor und warf ihr Bündel auf die schweren Holzbohlen hinaus.
„Endstation.“ Ihre Stimme war heiser. Sie sah ihn traurig an. „Du weißt noch, was ich dir gesagt habe?“ Er verspürte einen plötzlichen Widerwillen, sie gehen zu lassen.
Sie nickte. „Die Treppen hoch.“ Sie wandte sich ab, schwang die Hand in Richtung der hölzernen Treppe, die in
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