Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
verstehen, erringen Ruhm und Anerkennung, Macht und Respekt. Sie erhalten die Gelegenheit, das von ihren Männern geschaffene Imperium zu bewahren und zu vervielfältigen, bevor sie selbst hinter Gitter wandern und eine kalte Zelle auf sie wartet. Die Frauen in den Clans können festlegen, wie viele Millionen sie in ein bestimmtes Unternehmen investieren wollen. Was sie aber nicht können, ist, zum Friseur zu gehen und sich um ihr Äußeres zu kümmern, während ihr Mann hinter Gittern sitzt. Ihr Äußeres muss immer dem aktuellen Status ihres Mannes angepasst sein. Ist der Boss in Freiheit und gibt Befehle, ist die Frau abgesichert, gut gekleidet und protzt mit ihrem Reichtum. Ist der Mann aber im Gefängnis, wird sie umgehend unsichtbar und lässt sich gehen, und das, obwohl im selben Moment die Insignien der Macht an sie übergeben werden und sie als Stellvertreter des Paten in Erscheinung treten muss.
Die drei Frauen, die während der letzten Anti-Mafia-Operation verhaftet wurden – Maria Capone, Angela Diana, Ehefrau und Tochter von Raffaele »Rafilotto« Diana, sowie Barbara Crisci, Ehefrau von Giuseppe Caterino (Bezirksstatthalter der Mafia in Modena vor seiner Verhaftung, ihn ersetzte Diana) –, hatten eines gemeinsam. Sie waren alle in der Lage, Firmen zu führen, aber gleichzeitig lehnten sie die Regeln der Clans ab, welche von ihnen das Opfer verlangten, sich dem Paten zu unterwerfen. Unternehmerische Fähigkeit hatte auch Iana Gurlui bewiesen, die Freundin eines Mafioso aus dem Umfeld von Nicola Schiavone, dem Sohn von »Sandokan«. Er wurde während einer der letzten Anti-Mafia-Operationen verhaftet. Gemeinsam mit zwei Gefängniswächtern, die gemeinsame Sache mit den Gangstern gemacht hatten. Ihm kommt eine zentrale Rolle zu. Ihm oblag es, die Einnahmen der Clans zu verwalten und den Kontakt zum Mutterhaus, zur
Provincia
, zu halten. Ein Geschäft, das alle zwei Wochen 100.000 Euro in die Kassen des Clans spülte.
Dazu war es notwendig, eine Vertrauensperson zu installieren, und es ist nur naheliegend, dass vor allen anderen die Ehefrauen, Verlobten oder Töchter der Mafiosi diese Rolle übernehmen. Während die Männer sich vor der Justiz wegen Zugehörigkeit zum Organisierten Verbrechen verantworten müssen, verwalten ihre Frauen das Imperium. Wenig Schießereien und viele gute Geschäfte, das ist die Politik, mit der sich die Mafia das Entrée in die legale Wirtschaftswelt nicht nur in Modena verschafft hat. Eine Politik, die von den Spitzen des Clans beschlossen wurde und an der auch die Frauen aktiv partizipieren.
Diese Frauen können auch zum Instrument der Verbindung zwischen nördlichen Unternehmern und den Mafia-Bossen werden. Pasquale Zagaria, der Bruder des 2012 gefassten Oberbosses Michele Zagaria, hatte eine Tochter von Aldo Bazzini geheiratet, einem bekannten und mächtigen Bauunternehmer aus Parma. Dieser war ebenfalls wegen mafiöser Umtriebe zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Den Richtern zufolge hatte er als offizieller Strohmann des Clan-Chefs Pasquale »Bin Laden« Zagaria fungiert. Ehefrauen, Schwestern, Freundinnen, Töchter und einfache Fußsoldaten können Strohmänner und -frauen werden. Sie können ihre Identität in ein Tauschgeschäft einbringen und sich an die Spitze von Firmen und Immobilienholdings hocharbeiten, sowie sichere, unverdächtige, nicht abgehörte Telefone besorgen. Sie verwalten die Reichtümer, die es mit dem Rest der Familie zu teilen gilt. Und im Wirbel der Tarnbezeichnungen und Strohmänner in der Wirtschaft, die zur Verwirrung der staatlichen Strafverfolgungsbehörden führen sollen, können auch die Verlobten der Töchter und die Schwestern der Bosse eine Rolle übernehmen. Die Taktik der Tarnung des Immobilienbesitzes durch weibliche Führungspersonen ist mittlerweile verbreitete Praxis innerhalb der Ständepolitik der Mafia-Organisationen. Schwestern fungieren in diesem System auch als Ratgeber und Informationsbeschaffer. Schwestern, die eigentlich Gott geweiht sind, die aber ihren Brüdern, den Feldmarschällen der Clans, raten, wie sie sich verhalten und vor wem sie sich in Acht nehmen sollen.
Rosa Alba Maria hat das Gelübde abgelegt. Sie gehört zum Orden der Paolinerinnen und ist stellvertretende Klinikdirektorin am Krankenhaus
Regina Apostolorum
in Albano Laziale. Gleichzeitig ist sie die Schwester von Paolo Martino, dem Boss der Mailänder ’Ndrangheta, der sich zwischen Handlangerdiensten, Gepäckträgern, Spielautomaten,
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