Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
oberflächlichsten dokumentierten Arbeiten. Fast schon unsichtbar. Es ist, als ob die Waagen, mit denen die Fahrzeuge gewogen werden, falsche Werte anzeigen würden. Auf dem Papier zumindest.
In der Realität sprechen die Fahrzeugkennzeichen eine andere Sprache. Sie lassen die ’Ndrangheta-Firmen sichtbar werden. Die Subaufträge im Bereich der Erdarbeiten stellt eine Schattenzone dar, in der die ’Ndrangheta die Regeln diktiert, angefangen mit jenen zur Verteilung der Arbeiten, die sie, wenn nötig, auch gegen den Willen der Unternehmer, ausschreibenden Stellen und Arbeiter durchsetzt. Es handelt sich um eine Hegemonie, die von der Gefügigkeit und der Unterwerfung unter das System am Leben gehalten wird. Eine Last für die Umwelt, die sich wenig von denen auf den Baustellen der Autobahn Salerno-Reggio di Calabria unterscheidet. Die Unternehmen aus dem Norden, die dort tätig sind, akzeptieren stillschweigend die »Umweltabgabe«. Sie haben Teil am Profit und machen die Clans zu Teilhabern. Aus dem Verlangen nach einem ruhigen Leben heraus.
Zahllose Untersuchungen ergaben, dass das »System des direkten Zurufs« für die Ausführungen der Arbeiten an der Hochgeschwindigkeits-Schienenverbindung im Abschnitt Cassano d’Adda, Melzo sowie im Hinterland von Mailand von den ’Ndrangheta-Clans Nicoscia, Paparo, Arena aus Isola di Capo Rizzuto, Perre und Barbaro aus Platì dominiert wurde. Regie führte der Barbaro-Clan. Die Verteilung der Aufträge und ihre Zuteilung überwachte Pasquale Barbaro. Eine einheitliche Regie, wie es die Ermittler nennen. Auf den Baustellen manifestiert sich das teilweise lautstark, was mitunter auch mit Pulverdampf verbunden ist. Aber meist handelt es sich um eine diskrete, stille, unsichtbare Koordinierungsarbeit. Wie jene von Romualdo und Marcello Paparo. In erster Instanz wurden beide zu vier und sechs Jahren verurteilt. Beschuldigt wurden sie der Schädigung des Auftraggebers und des Waffenbesitzes, aber nicht der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung!
Die Erdarbeiten an der Hochgeschwindigkeits-Zugverbindung und an der Autobahn A 4 hat der Paparo-Clan durchgeführt. Die Brüder Marcello und Romualdo Paparo haben gemäß dem System der ’Ndrangheta gearbeitet. Auf Rechnung von bekannten Baufirmen wie
Locatelli
und
Casiraghi
, »dank Maurizio«. Damit ist Luraghi gemeint. Die Subunternehmer beschäftigen wiederum Firmen aus dem Umkreis der Mafia, um einen ruhigen Fortgang der Bauarbeiten zu garantieren. Und um in Ruhe arbeiten zu können, erlauben sie es der ’Ndrangheta, durch den Haupteingang der Baustelle hereinzuspazieren. Alles eine Frage der Opportunität.
Der einzelne Unternehmer könnte auch anders entscheiden. Einige isolieren die Mafia-Unternehmen, leisten Widerstand und erstatten Anzeige. Andere, aus allen Teilen Italiens, ziehen es vor, die Augen zu schließen, sich die Nase zuzuhalten und die Anti-Mafia-Vorschriften zu umgehen, um Explosionen und Schießereien auf den Baustellen zu verhindern. Aber weil es die gefälligen Unternehmer gibt – und sie gleichen an Anzahl einem Heer –, können die Clans bis in die Verästelungen hinein die Subaufträge kontrollieren. Damit können sie die ehrlichen Unternehmen in den Ruin treiben, die keine Aufträge mehr erhalten. Und das ist inzwischen keine Seltenheit mehr.
Zur Rettung renommierter Unternehmen, die Subaufträge an Mafia-Firmen vergeben und dadurch in die Mühlen der Justiz gerieten, gibt es die Verjährung der Steuerstraftaten, wie sie erfolgreich im Fall von Nicola Scipione und Roberto Tadolti von der Baufirma
Locatelli
Anwendung fand. Diese hatten für die Arbeiten am Schienennetz der Staatlichen Eisenbahnen Italiens Subaufträge an die P&P vergeben, eine Firma, die von Romualdo Paparo geleitet wird. Aus den Berichten zur Operation »Isola« ging hervor, dass der Barbaro-Clan bei einer Ausschreibung sogar trotz höherer Preise den Zuschlag bekam. Aber Barbaro und der Paparo-Clan garantieren nun mal, dass keine Baufahrzeuge beschädigt werden und die Bauarbeiten ungestört vorangehen können.
Die höheren Preise lassen sich so als Sicherheitsabgabe gegen die Kosten, die durch permanente Störungen der Bauarbeiten zusätzlich entstehen würden, gegenrechnen. Störungen der Bauarbeiten gibt es auf den Baustellen, die der ’Ndrangheta anvertraut wurden, bekanntlich nicht. Obwohl sie nicht mal über das nötige technische Gerät zur Ausführung von Arbeiten, die spezielle Kompetenzen verlangen, verfügen,
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