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Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Titel: Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Tizian
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»Reuige«. Sie denkt an ihre Ehe zurück, an Carlo, der ihr so viel Leid zugefügt hat, der aber trotz allem der Vater ihrer Tochter ist. Es ist nun mal nicht einfach, komplett mit der Vergangenheit zu brechen. Die Tage vergehen. Lea schwankt zwischen Mutlosigkeit, Furcht, Angstattacken und bleierner Unbeweglichkeit. Sie muss einen Weg finden, um der Existenz von ihr und ihrer Tochter wieder einen Sinn zu verleihen. Davon ist Lea überzeugt.
    Sie entscheidet sich, das Zeugenschutzprogramm zu verlassen. Sie will es noch einmal mit Carlo versuchen, mit ihm wieder als Familie zusammenleben. Als letzte Chance. Wenn das nicht klappt, sagt sie sich, werde ich Carlo nie mehr erlauben, seine Tochter zu sehen. Aus Leas Sicht ist das die einzige Chance, um Denise wieder ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen. Ein Leben wie das ihrer Altersgenossen in der Schule. Sie flüchtet sich in die Sehnsucht nach Normalität. Sie will die Versöhnung. Für Denise. Das Leben von Lea und Denise gleicht zu diesem Zeitpunkt einem toten Rennen. Jenseits aller Logik, aller Befehle, aller Verhaltensmaßregeln der ’Ndrangheta. Wir werden alle zusammen im mittelitalienischen Campobasso leben, das ist ihr Plan. Weit weg von den Hochburgen der Mafia.
    Lea klammert sich an den Gedanken, dass das die Lösung für alle ihre Probleme ist. Zu ihrer Überraschung akzeptiert Carlo ihren Vorschlag ohne größere Diskussionen. Er erklärt sich auch bereit, wie von ihr vorgeschlagen ein gemeinsames Familienheim in der Region Molise anzumieten. Carlo Cosco ist ein harter Kerl. Dank des Nachnamens seiner Frau hat er das erreicht, was er immer wollte. Ich bin doch kein Vollpfosten, denkt er sich. Gerade hab ich mir meinen Marktanteil gesichert. Es läuft alles bestens. Warum sollte ich das alles aufgeben? Mir gefällt dieses Leben. Mittlerweile hat er angefangen, Drogen zu konsumieren, damit zu handeln und den Transport zu organisieren. Er arbeitet auf den Baustellen für die M 5, die neue Linie der Mailänder Untergrundbahn. Die Lastwagen seiner Firma besorgen den Transport des Aushubs, so wie die unzähligen anderen Firmen seiner kalabrischen Landsleute. Er lebt als etablierter Mafioso in der Lombardei und hilft mit, die Fundamente der Moralität in der Lombardei zu untergraben.
    Lea hat er gesagt, dass er sein Leben künftig der Familie widmen möchte. Dass er mit den Drogen aufhört. Lea, die weiß, dass er ihr falsche Versprechungen macht, glaubt ihm trotzdem. Sie will einfach an ein anderes Morgen glauben, das Stabilität und Sicherheit verspricht. In Campobasso gehen die Uhren langsamer. Fast schon langweilig ist das Leben dort. Im Vergleich zu Mailand ist es eine andere Welt. Aber die Menschen sind herzlich, sie sehen dich nicht schief an, wenn du aus Kalabrien kommst. Sie sind nicht scheinheilig, sie stellen Kalabresen nicht gleich unter Generalverdacht. In der Lombardei, so erinnert sich Lea, gab es so viele Politiker und Unternehmer, die tagsüber die Süditaliener nach Kräften schikanierten und wie Mafiosi behandelten, und nachts – vor den Augen der Ermittlungsbeamten – machten sie mit den von ihnen eben noch geschmähten Kalabresen Geschäfte, tauschten Gefälligkeiten aus und vergaben Aufträge gegen Wählerstimmen.
    Die ersten Tage in Campobasso verbringen sie damit, die Ruhe zu genießen. Carlo ist selten zu Hause, was Lea als störend empfindet. Dennoch kehren Lea und Denise zum ersten Mal seit langer Zeit wieder zu so etwas wie einem normalen Leben zurück. Als Mutter und Tochter. Lea spürt zwar, dass ihr Mann sich entgegen seinen Beteuerungen nicht gewandelt hat, dass er sein altes Leben keineswegs zu beenden gewillt ist. Trotzdem will sie bei ihm bleiben. Lea kennt ein Geheimnis von Carlo. Sie weiß, dass er sehr viel Geld investiert hat, um sie und ihre Tochter, die er als sein Eigentum ansieht, während der Zeit im Zeugenschutzprogramm zu finden. Lea spricht mit Carlo darüber. Sie sagt ihm, dass es gar nicht notwendig gewesen sei, all das Geld auszugeben. »Ihr kamt immer erst an, als sie uns schon in einen anderen Ort gebracht hatten.«
    Ihr entgeht nichts. Bis auf eine Sache. Diese krampfhafte Suche, die ihr Ehemann in Gang gesetzt hatte, sein plötzliches Einverständnis, wieder zusammenzuleben, verdecken etwas Schreckliches, das Lea im Augenblick noch nicht zu erkennen vermag. Die Wochen vergehen. Lea erträgt Carlos übliche Wut, die übliche Gewalt. Mafiöse Arroganz, die ihn schnell wieder hinter Gitter bringen kann.

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