Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
können diese Mafia-Firmen einen Großteil der Aufträge für sich entscheiden. Marcello Paparo war sogar gezwungen, sich an Vermessungsingenieure von anderen Firmen zu wenden, wie zum Beispiel an Herrn Agliati von der Firma
Casiraghi
, um sich und den Bruder als jemanden darzustellen, der über die notwendige Personalausstattung verfügt, um die ausgeschriebenen Arbeiten auszuführen. Subaufträge, die sie mit allen Mitteln haben wollen und für deren Zuschlag sie notfalls auch die klassischen Druckmittel der Mafia einsetzen.
Wie im Fall der
Perego Strade
, die in die Hände von Strangio geriet, sowie die
Lavori Stradali
von Luraghi – beides Beispiele, die die wirtschaftlich-kriminelle Dynamik belegen, die sich mit Mafia-Methoden beliebig steigern lässt. Im Zentrum stehen dabei immer die Interessen der ’Ndrangheta. Ihre kriminelle Macht, ihre politische Macht, ihre wirtschaftliche Macht. Die anderen wirtschaftlichen Akteure drehen sich um die herum, die bewusst oder unbewusst, abgelenkt oder verschwiegen, die Macht der Bosse von der
Lombardia
ausnutzen.
15.
SCHWESTERN DES SCHWEIGEGEBOTS
Das Gefängnis untergräbt die Macht der Paten, aber nicht ihr Ansehen. Paten, die Haft- beziehungsweise lebenslange Freiheitsstrafen abbüßen, setzen ihr Vertrauen in ihre Brüder, Söhne, Neffen, Ehefrauen und Töchter. Ihnen vertrauen sie ihren Besitz, die Firmen und Teile des operativen und kriminellen Geschäfts der Clans an. Die Übergabe der Macht erfolgt sowohl in den Mafia-Hochburgen des Südens als auch innerhalb ihrer Ableger in den nördlichen Kolonien der Mafien. Die Paten vertrauen dem Schweigegebot, der
Omertà
, das ihre Frauen während ihres gesamten Lebens eingehalten haben. Es ist kein Zufall, dass die Frauen, die den Mafiosi in guten wie in schlechten Zeiten zur Seite stehen, als »Schwestern des Schweigegebots«
(Sorelle dell’Omertà)
bezeichnet werden.
Es ist ein Akt extremer Treue, den die Frauen der Mafia vollbringen. Treue zum Clan-Chef, zum Patriarchen, zum Boss und zu den Söhnen, die in die Fußstapfen ihrer Väter treten, sowie zum unabänderlichen System. Gewohnt an die archaischen Riten und an die Mafia-Macht, erziehen sie ihre Söhne im Gebrauch der Macht und zur Ehrerbietung gegenüber dem Boss. Einige lehnen sich auf, arbeiten mit der Polizei zusammen, um ihre Kinder vor dem Schicksal der Väter zu bewahren. Der Traum von einem ehrlichen Leben für die Kinder führt dazu, dass sie nach und nach die moralische Verpflichtung zum Schweigen hinter sich lassen. Ein Schweigen, an das sie mit dem Bluteid gebunden sind.
Die Frauen, die die Vorherrschaft der Mafia-Kultur stützen, entwickeln sich während der Haftzeit der beteiligten Männer von Opfern zu Racheengeln, zu Schwerkriminellen. Sie ordnen Strafexpeditionen an, begleichen schmutzige Rechnungen und stoßen neue illegale Unternehmungen an, um sie in die legale Welt einmünden zu lassen. Sie werden zu Unternehmerinnen, die an die Spitze von Firmen treten. Firmen, die echte Werte schaffen und Gewinne abliefern und mit deren Hilfe man die Herkunft der Drogenmilliarden verschleiern kann. Die Mafien respektieren die Frauenquote eher als die meisten italienischen Unternehmen und Behörden.
Wenn die Männer da sind, tarnen die Frauen als nicht Vorbestrafte für gewöhnlich die krummen Geschäfte der »Familie«. Damit kommt den Mafia-Frauen heutzutage eine Funktion zu, die für die Clans, die auf dem Rücken des Turbokapitalismus ins moderne Zeitalter eintreten, überlebenswichtig ist. Einer kürzlich durchgeführten Erhebung der sizilianischen Anti-Mafia-Organisation
SOS Impresa
zufolge, einem Ableger des Unternehmerverbandes, der gegründet wurde, um die Unternehmer zu verteidigen, die Schutzgelderpressungen und Wucher anzeigen, beträgt die Zahl der Frauen, die aufgrund des Artikels 416b des italienischen Strafgesetzbuches inhaftiert sind, 84. Aber tatsächlich übersteigt die Zahl der Frauen, die direkt oder indirekt wegen mafiöser Verstrickungen hinter Gitter sitzen, deutlich die 100.
Louis Vuitton, Dolce & Gabbana und Gold, auf das man verzichten müsste. Für Luana sind Markenartikel ein Zeichen der errungenen Macht im reichen Norden. Seit ihr Vater sie an die Spitze der Familienfirma gestellt hat, spürt sie angesichts ihrer neuen Macht öfter ein inneres Frösteln. Sie weiß, wie man Waffen gebraucht. Das musste sie bislang verbergen, auf Anweisung von oben. Das Konsortium aus Kooperativen, das sie führt, kann in seinen Büchern
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