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Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Titel: Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Tizian
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Gebiet zwischen Mantua und Modena aktiv war und der sich an Perrone gewandt hatte, sicherte dieser dem erpressten Opfer zu, dass der Mahnbescheid, den Maggio beim Amtsgericht in Modena gegen das Opfer erwirkt hatte, zurückgezogen werde. »Mach dir keine Sorgen um das Geld, ich regle das«, hatte Perrone dem Unternehmer versprochen.
    Die Wirtschaftskrise und alltägliche Schwierigkeiten, mit denen eine Baufirma konfrontiert ist, lassen einen Mann wie Perrone kalt. Auf Einwände solcher Art reagiert »O Pazzo« nicht. »Nimm das, was passiert ist, ernst. Sowas zieht sonst schwere Prügel nach sich«, rief er. Die Inkassoagentur von Perrone und seinen Bandenmitgliedern verfügt für solche Zwecke über verschiedene Drohungsszenarien. Eines dieser Szenarien, wie es in einer Aussage gegen Perrone beschrieben wurde, ist bezeichnend für die Vorgehensweise.
    Nachdem die Clan-Mitglieder den betroffenen Unternehmer in eine der Clan-Unterkünfte verschleppt haben, setzen sie ihn auf einen Stuhl. »Wie vor einem Tribunal«, beschreibt das Opfer die Szene. Er muss seine Autoschlüssel abgeben und wird immer wieder geohrfeigt. Eine demütigende Aktion. An diesem Punkt ergreift der Pate das Wort und erinnert das Opfer daran, dass er damit beauftragt worden sei, Außenstände für die Firma AGR einzutreiben, ein Bauunternehmen der Region, deren Eigentümer sich bester Beziehungen zu Alfonso Perrone erfreut. Um die 13.500 Euro einzutreiben, die der in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Unternehmer der AGR schuldet, wandte die sich an Perrone. Das Opfer weiß nicht, wie er das Geld zur Begleichung der Schulden auftreiben soll, durch Zinseszins wachsen die Schulden rasch auf 60.000 bis 70.000 Euro an. Der Erpresste bittet um Zeit, um das Geld aufzutreiben, ein normaler Vorgang in der normalen Wirtschaft. Aber wenn der Clan über Zeitpunkt und Modalitäten der Zahlungen entscheidet, gibt es keine normalen wirtschaftlichen Abläufe mehr, keinen freien Entscheidungsspielraum, aus normalen Mitbewerbern werden unfaire Konkurrenten.
    Schläge, Feuer, Drohungen, Schüsse, Diebstähle. Beunruhigende Indizien, die in der Provinz Modena immer öfter zu verzeichnen sind. Von 2007 bis 2010 wurden den Daten der örtlichen Verwaltung zufolge über 350 vorsätzlich gelegte Brände registriert. Die Ziele dieser Anschläge: Pizzerien, Restaurants, Cafés, Tiefbaufirmen, Baggerverleihfirmen, Baustellen, Baumaschinen, Firmenfahrzeuge, Lastwagen. »Alarmierende Vorgänge«, wie sie die Staatsanwälte der Region bezeichnen. Die Staatsanwälte können die bittere Wahrheit umfassend belegen: Die Macht der Mafia und ihre Einschüchterungsmethoden sind definitiv im Herzen des Wohlstandsmotors Italiens angekommen. So zu tun, als ob es sich dabei um unwichtige, vorübergehende und letztlich nicht typische Erscheinungen handle, erleichtert dem unwillkommenen, gewalttätigen Gast nur den weiteren Zutritt zu den zentralen Ebenen der örtlichen Gesellschaft. Und schwächt deren Abwehrkräfte gegenüber dem Verbrechen.
    Das, was sich gerade in der Lombardei, in Ligurien, Piemont und Latium abspielt, wo Politik und Mafia immer engere Verbindungen eingehen, versinnbildlicht die generelle Degeneration der Führungsschicht Italiens. Die Politik zeigt sich unfähig, langfristige Gegenbewegungen zu initiieren. Sie verlässt sich auf die Stimmenbeschaffung durch die Mafia, um ihre lukrativen Erbhöfe nicht zu verlieren. Nominierungen, Macht, Austausch von Gefälligkeiten haben Ideologie und Programmatik ersetzt. Die Auflösung des bisherigen Politikverständnisses kommt dem Vormarsch der Mafia zugute. Die Mafia findet hier ein fruchtbares Terrain vor, um ihre korrumpierenden Praktiken vertiefend anzusetzen.
    Korruption und Mafia sind zwei Seiten derselben Medaille. Der Mafioso bedarf der politischen Unterstützung der legalen Macht, um zu »regieren«, um die öffentlichen Ausschreibungen zu manipulieren und seine legalen Unternehmungen zu pflegen. Umgekehrt brauchen Teile der Politik auch die Mafia. In der Konsequenz führte das zur Entstehung jener Grauzone, in der sich servile Politiker, aus dem Ruder laufende Geheimdienste, Staatsanwälte und »Freunde« aus den Reihen der Strafverfolgungsbehörden herumtreiben. Um die Macht über eine bestimmte Region zu erringen, setzt die Mafia ihre bekannten Mittel ein: schießen, bestechen und erpressen. Das traditionelle Italien mit seinen Wertvorstellungen wird dabei von den verschiedenen Mafia-Organisationen

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