Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Amtsmissbrauch betreibt. Hochachtungsvoll, Perrone.«
Den Brief hatte Perrone im November 2008 verfasst, lange vor seiner Verhaftung, und einen weiteren an den Innenminister geschickt. Perrone klagte damals, er fühle sich verfolgt, protzte aber gleichzeitig mit seinem Reichtum und seiner Macht in dem kleinen, verschlafenen Ort Nonantola im Hinterland von Modena, verübte Gewalttaten gegen seine Landsleute und benutzte sogar ein Blaulicht der Polizei auf seinem Privatauto, um seine Opfer zu beeindrucken und ihnen zu suggerieren, dass er sogar die Polizei in seiner Hand habe. Hinter Gitter kam er am 18. März 2010. Vorgeworfen wurde ihm, der Pate des Casalesi-Clans in Modena zu sein. Die Untersuchungen, die zur Verhaftung von Perrone, Mario Temperato und Sigismondo di Puorto führten, brachten den Beweis, dass er in enger Verbindung mit der Führungsebene des Clans stand, mit Bossen wie Diana, Schiavone und Zagaria.
In der Autowerkstatt in der Via Nonantola 82 in Modena, die Perrone als Treffpunkt für seine Besprechungen diente, war beispielsweise der flüchtige Chef des Clans, Raffaele Diana, gesehen worden. Die Ermittler sind sich ziemlich sicher, dass er es war. Jedenfalls war 2008 auf den Bildern der Überwachungskameras eine Person zu sehen, deren körperliche Eigenheiten denen Dianas weitestgehend entsprachen. Auch die anschließende Videoanalyse belegte den Experten zufolge, dass es sich bei dem geheimnisvollen Mann um »Rafilotto« handeln müsse.
Perrone und seine Helfershelfer standen damals auch mit dem Chef des Clans, Michele Zagaria, in Kontakt. Während eines abgehörten Telefonats unterhielt sich Perrone mit Salvatore Buonincontri. An einem bestimmten Punkt reichte Perrone den Hörer an jemand anderen weiter, der sich nicht vorstellte und daher den Gesprächspartner verwirrte. Aber Perrone selbst gab seinem Gesprächspartner einen Hinweis: »Es ist ›O Cuoll’sstuorto‹ [Spitzname von Zagaria].« Und Buonincontri entgegnete: »Ach …« Noch bezeichnender ist, was Buonincontri nach dem Ende des Telefonats sagte: »Habt ihr nicht verstanden, das war Michele Zagaria.« Pasquale Maisto, der sich unter den Anwesenden befand, fragte daraufhin: »Und Perrone gehört zu dem?«
Dass Perrone in Verbindung mit dem flüchtigen Zagaria stand, ergab sich auch aus einem anderen Abhörprotokoll. Dieses Mal hatte es keinen Hinweis auf die Identität des Gesprächspartners von Perrone gegeben, aber die Stimme war den Ermittlern zufolge identisch mit der der bereits vorhandenen Aufnahme. Ein Audioexperte bestätigte das mit achtzigprozentiger Wahrscheinlichkeit.
Es gibt weitere Abhörprotokolle, in denen sich Perrone über den Paten Zagaria äußert. In einem davon behauptet er, mit dem Flüchtigen befreundet zu sein. Zagaria habe ihm sogar eine Villa in Baia Domizia (bei Neapel) schenken wollen. Perrone erläuterte: »Die erste Villa gehörte ihm [Michele Zagaria], die zweite Pasquale [dem Bruder von Zagaria und Ehemann der Tochter des Bauunternehmers aus Parma, der wegen mafiöser Verbindungen verurteilt wurde] und die dritte Antonio [Antonio Zagaria oder Antonio Iovine].« Perrone sollte die vierte Villa bekommen, erklärte aber den Anwesenden, dass er das Geschenk abgelehnt habe, aus Gründen, die mit seiner Vergangenheit zusammenhingen, als er zur Truppe des verstorbenen Paten Alberto Beneduce gehörte, der ein Freund des Flüchtigen Zagaria war.
Der Blick des Mädchens verrät, dass es ihr sehnlichster Wunsch ist, von jemandem hier weggebracht zu werden. Sie ist hübsch. Mit ihrem deutlichen osteuropäischen Akzent und ihrer lauten Stimme erzählt sie mir davon, dass sie seit ihrer Kindheit Italien als »gelobtes Land« gesehen habe. »Italien, Italien, dachte ich, schönes Land. Aber ich hab nur durchgeknallte, gewalttätige Leute getroffen.« Während sie das sagt, setzt sie sich neben mich. Ich warte auf meine Pizza. Sie nennt sich Sonja und »arbeitet« im
Big Bijou
, dem Nachtclub über der Pizzeria. Das als Nachtclub getarnte Bordell, in dem sie beschäftigt ist, ist ein Alptraum. Und trotzdem immer noch besser als der Straßenstrich.
»Aber ich hab keinen Bock mehr auf dieses Scheißleben« sagt sie. Sie hat einen Sohn, bald kommt der zweite zur Welt. Sein Vater ist irgendein Kerl, der gar nicht weiß, dass er Nachwuchs gezeugt hat. Die Zahl der Freier im Nachtclub ist hoch. Sie kommen aus allen Bevölkerungsschichten. Reiche, Selbständige, Mediziner, Jugendliche, Studenten, Arbeiter. Es ist eine
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