Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
erhalten. Zudem sei der Bau des Hotels in einem Landschaftsschutzgebiet erfolgt. Den Spezialeinheiten der Carabinieri und der deutschen Polizei zufolge soll das Hotel auch von flüchtigen Mafiosi als Zwischenstation benutzt worden sein.
Nach 1989 dehnten sich die Aktivitäten der Mafien auch auf Ostdeutschland aus, einem der Endpunkte der Balkanroute, über die Heroin und Waffen ins Land kommen. Die deutsche Wiedervereinigung eröffnete ihnen so gut wie grenzenlose Geschäftsmöglichkeiten im Immobilienbereich, ideal, um ungeheure Mengen an Drogengeldern zu waschen. Etwa durch den Kauf von Hotels, Ferienanlagen und sonstiger Immobilien. Allein in Erfurt bewegen sich die Mafia-Investitionen in einer Größenordnung von knapp hundert Millionen Euro. Aber auch andere Anlageformen werden von der Mafia gern genutzt. Ein Untersuchungsbericht aus dem Jahr 2006 belegt beispielsweise, dass sich damals einige ’Ndrangheta-Clans über die Frankfurter Börse Aktienpakete von Energieversorgern zulegten. Alles zusammen macht Deutschland seit Jahrzehnten zum Gelobten Land für die ’Ndrangheta.
Doch die ’Ndrangheta agiert nicht nur im Immobilienbereich. 1994 geriet der damalige Vorsitzende der baden-württembergischen CDU und spätere Ministerpräsident Günther Oettinger – mittlerweile zum EU-Kommissar aufgestiegen – in die Schlagzeilen. In der sogenannten »Pizza-Affäre« wurde Oettingers Name im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen seinen Duzfreund, den Stuttgarter Wirt Mario Lavorato, genannt. Der Kalabrese, der Mitglied der ’Ndrangheta sein soll, wurde der Geldwäsche und des Drogenhandels bezichtigt. Dabei ging es auch um angebliche Wahlkampfspenden des Wirts für die CDU. Thomas Schäuble, der damalige baden-württembergische Justizminister, unterrichtete Oettinger über die laufenden Ermittlungen gegen Lavorato und gefährdete damit das Verfahren. Oettinger versicherte mehrfach, dass er von den Ermittlungen gegen Lavorato »völlig überrascht« worden sei.
Ebenfalls im Jahr 1994 beschlagnahmte die belgische Polizei im Hafen von Antwerpen knapp hundert Kilo Kokainpaste, die vom Cali-Kartell in Kolumbien stammten. Bestimmt waren sie für Clans aus San Luca. Verhaftet wurden in diesem Zusammenhang auch zwei Kellner des Restaurants
L’Opera
in Essen, das damals Giuseppe Giampaolo gehörte. Sein Geburtsort ist ebenfalls San Luca. Das Restaurant tauchte sogar in Untersuchungsberichten der US-Antidrogenbehörde DEA auf, in denen es um die Beschlagnahmung von zwölf Tonnen Kokain aus Südamerika ging. Die amerikanischen Beamten hatten zahllose Gespräche zwischen den bolivianischen Verkäufern und den kalabrischen Käufern der Drogenlieferung abgehört, welche vom Telefonanschluss des Lokals aus geführt worden waren.
Berichten der Carabinieri-Spezialeinheit ROS zufolge gibt es in Deutschland mittlerweile mindestens 21 ’Ndrangheta-Zellen. Die meisten davon unterstehen Clans aus San Luca. Ihnen konnte bisher der Besitz von dreißig Restaurants, zwei Hotels, drei Firmen und zwei Wohnhäusern nachgewiesen werden. Zur Tarnung erhalten die Restaurants typisch italienisch klingende Namen wie
La Gioconda, Borsalino
oder
Paganini
. »Borsalino« war auch der Name einer italienischen Anti-Mafia-Operation aus dem Jahr 2004. Sie beschäftigte sich unter anderem mit dem in Krefeld gelegenen Restaurant gleichen Namens und versuchte nachzuweisen, dass es sich dabei um einen Logistikstützpunkt für kriminelle Aktivitäten aller Art handelte.
Südlich wie nördlich der Alpen wird der Expansionsdrang der ’Ndrangheta unterschätzt. Man zeigt sich gleichgültig gegenüber eindeutigen Indizien, die auf eine bereits etablierte Präsenz der Mafia hindeuten. Natürlich haben nicht alle Clans die gleiche Macht, sind nicht gleich stark und besitzen auch nicht dieselbe wirtschaftliche und kriminelle Schlagkraft. Aber neben Clans, die auf dem Stand von vor dreißig Jahren stehengeblieben sind, gibt es die Clans der modernen ’Ndrangheta, denen es in erster Linie um Geschäfte und Gewinne geht. Um ihre Ziele zu erreichen, bedienen sie sich der meist zum Erfolg führenden Korruption als Mittel zum Zweck.
Macht, Reichtum und der mafiöse Ehrenkodex treiben die Clan-Chefs um. Da führen schon Kleinigkeiten zu großen Komplikationen. Aber selbst wenn der Auslöser wie im Falle der Fehde in San Luca ein Dummejungenstreich war, die eigentlichen Motive lagen woanders. Im Sommer 2008 druckte die süditalienische Zeitschrift
Calabria Ora
einen
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