Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Bericht aus dem
Spiegel
ab. Das deutsche Magazin gab darin die Unterhaltung mit einem ’Ndrangheta-Boss wieder, dem die beiden deutschen Journalisten das Pseudonym Don Fedele gegeben. Dieser Don Fedele bestätigte, dass »Rache kein ausreichender Grund war, um den Sechsfachmord von Duisburg anzuordnen«. Der Anschlag sei aus strategischen Gründen erfolgt. Die Führungsspitze der ’Ndrangheta habe damit den weiteren Aufstieg von Marco Marmo verhindern wollen.
Marmo war bekanntlich der mutmaßliche Mörder von Maria Strangio, der Frau von Clan-Chef Giovanni Nirta. Den Regeln der ’Ndrangheta zufolge hätte ihm damit ein höherer Rang zugestanden. Allerdings gilt der Mord an einer Frau als Sakrileg. Um dennoch weiter kriminelle Karriere machen zu können, habe Marmo einen eigenen Clan gründen wollen. Und dazu schon konkrete Vorbereitungen getroffen. So habe sich Marmo zum Zeitpunkt des Anschlags in Deutschland aufgehalten, um seine dortigen Gefolgsleute zu treffen und eine gepanzerte Limousine zu kaufen. Da solches Abweichlertum nicht geduldet werden kann, habe die oberste Führungsspitze der ’Ndrangheta befohlen, mit Marmo kurzen Prozess zu machen und seinen Ambitionen ein Ende zu bereiten.
Der Entschluss, einen »öffentlichkeitswirksamen«, aufsehenerregenden Anschlag durchzuführen, sei ganz bewusst erfolgt und habe die beabsichtigte Wirkung entfaltet, was durch die mittlerweile in dem kalabrischen Dorf San Luca eingezogene Ruhe bestätigt werde. Dort ist seit dem blutigen Anschlag von Duisburg, der den Endpunkt einer Serie wechselseitiger Racheakte mit insgesamt zehn Opfern allein im Jahr 2006 darstellt, kein einziger Schuss mehr gefallen. Als anschließend die staatlichen Behörden massiv auf den Plan traten, war die ’Ndrangheta nur allzu gern bereit, wieder in die gewohnte Unsichtbarkeit abzutauchen.
Insgesamt wurden im Zusammenhang mit der »Fehde von San Luca« über sechzig Personen verhaftet. Eine erste, »Fahida« genannte Operation, die unmittelbar nach dem Anschlag im August 2007 durchgeführt wurde, hatte 29 Haftbefehle zum Ergebnis, unter anderem wegen Waffenbesitz, Zugehörigkeit zu einer mafiösen Vereinigung und Mord. Eine zweite Operation namens »Zaleuco« führte zu neun weiteren Festnahmen, darunter befanden sich unter anderem zwei Selbständige aus Norditalien, denen Begünstigung der Mafia vorgeworfen wurde. Unter den Festgenommenen waren zudem auffällig viele Frauen. »Schwestern im Schweigen«, wie sie in Mafia-Kreisen genannt werden, Frauen also, die ihren Ehemännern, Vätern, Söhnen und Brüdern zur Flucht verholfen hatten, die Auseinandersetzung mittrugen, Geheimnisse bewahrten und die Geschäfte weiter betrieben.
Einer der Statthalter der ’Ndrangheta auf deutschem Boden war Bruno Nesci. Im Oktober 2011 wurde er in Italien zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. Den kalabrischen Ermittlern zufolge, die ihn im Februar 2011 festgenommen hatten, fungierte er als Chef der Mafia-Zelle in Singen am Hohentwiel. Vier weitere Zellen wurden allein im Großraum Bodensee-Oberschwaben nachgewiesen. Ihren Sitz hatten sie in Ortschaften wie Radolfzell, Rielasingen, Ravensburg und Engen.
Die Präsenz der ’Ndrangheta dort wurde von den italienischen Beamten in Kooperation mit ihren deutschen Kollegen aufgedeckt. Auch diese Zellen sind dem Mutterhaus in Kalabrien unterstellt. Sie arbeiten hier speziell eng mit den ’Ndrangheta-Vorposten in der Schweiz zusammen, wie sie etwa in Frauenfeld und Zürich ermittelt wurden. Koordiniert wird die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der ’Ndrangheta-Ableger von den Mafiosi in Singen. Die in der Schweiz residierenden Clan-Chefs kamen zu diesem Zweck regelmäßig über die Grenze nach Deutschland, wo sie an den sogenannten »Samstags-Treffen« in Radolfzell-Böhringen teilnahmen. Weitere von den Ermittlern nachgewiesene Treffen gab es in einer Gaststätte in Singen. Den italienischen Staatsanwälten zufolge sollen bei diesen Treffen legale und illegale Aktivitäten besprochen und neue Mitglieder den Aufnahmeriten unterzogen worden sein.
Es geht bei solchen Treffen um umsatzstarke Geschäfte in Deutschland und der Schweiz, getarnt als reguläre Investitionen. Die Mafiosi schleusen auf diese Weise blutbefleckte Drogenmillionen, Resultat der in Südamerika ihren Ursprung nehmenden Kokainströme, in die legale Wirtschaft von Ländern, die von Sitten und Gebräuchen, von Ethos und Folklore der ’Ndrangheta Lichtjahre weit entfernt scheinen. Der Handel
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