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Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Titel: Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Tizian
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mit dem »weißen Gold« macht die Clans seit Jahrzehnten immer reicher. Sie investieren Millionenbeträge vornehmlich in grundsolide, bleibende Werte und kaufen Grundstücke, Gewerbe- und Wohngebäude. Als der 1978 in Toronto geborene Salvatore Femia sich in Singen niederließ, folgte er ebenfalls diesem Prinzip. Seine generelle Rolle vor Ort beschrieb die Anti-Mafia-Behörde aus Reggio di Calabria so: »Femia ist Teil der Zelle in Singen. Für die Treffen der Organisation stellt er das Nebenzimmer der von ihm betriebenen Gaststätte
Rikaro
zur Verfügung und deklamiert die Ritualsprüche zu Beginn und am Schluss der Versammlungen.«
    Gemeinsam mit seinem Bruder sollen Femia in Deutschland 13 Immobilien gehören. Aber das genügte ihm nicht. Er wollte mehr. In Singen traf er sich beispielsweise mit einer Frau, um über den Kauf eines ganzen Gebäudekomplexes mit Häusern, Wohnungen und einem Geschäftslokal zu verhandeln. Männer wie Femia sind Unternehmer, die mitten im Leben stehen und von denen einige längst den Aufstieg in die gehobene Gesellschaft Europas geschafft haben. Wer bei dem Wort ’Ndrangheta noch immer an Mafiosi mit Schrotflinte und Schiebermütze denkt, verkennt, dass die Mafien längst im 21. Jahrhundert angekommen sind. Bosse reisen völlig unbewaffnet umher, die Pistole haben sie durch Tablet-PCs ersetzt, den Totschläger durch Smartphones.
    Die Clan-Chefs der modernen ’Ndrangheta sind in der Lage, archaische Riten mit zeitgemäßem Geschäftsgebaren zu verbinden. So kann es durchaus vorkommen, dass die Paten – wenn sie gerade millionenschwere Investitionen in Zukunftsbranchen erfolgreich abgeschlossen haben – sich mit ihren Gefolgsleuten in verschwiegene Hinterzimmer zurückziehen, die traditionellen Kleidungsstücke der Mafiosi-Folklore überstreifen und jahrhundertealte Riten und Eidesformeln mit Leben füllen.
    »Die gemeinsam mit der deutschen Polizei durchgeführten Ermittlungen haben bestätigt, dass die Abläufe innerhalb eines ›’Ndrangheta-Ablegers‹ auch im Ausland genau denen zu Hause in Kalabrien entsprechen. Das betrifft sowohl die Führungsmechanismen als auch die Rituale.« Multinationalen Konzernen gleich, die versuchen, rund um den Erdball ein und dieselbe Unternehmensphilosophie, ein und dieselben Arbeitsabläufe beizubehalten, begehen die Clans in ihren örtlichen Niederlassungen die ’Ndrangheta-Bräuche exakt nach dem in Kalabrien gültigen Schema, und das auf der ganzen Welt, egal, wie weit das jeweilige »Tochterunternehmen« vom »Mutterkonzern« entfernt ist.
    Regionale wie nationale Grenzen spielen für die kalabrische Mafia längst keine Rolle mehr. Ihre Aktivitäten lassen sich über Deutschland hinaus in Kanada, in Südamerika sowie in den USA nachweisen, aber auch in Holland, Spanien, Portugal und Russland. So erstaunt wenig, was im fernen Australien mit einem Mann namens Tony Vallelonga geschah. In jungen Jahren auf den fünften Kontinent emigriert, hatte er es bis zum Bürgermeister der Gemeinde Stirling bei Perth gebracht. 2011 wurden gegen ihn Ermittlungen eingeleitet wegen angeblicher Mitgliedschaft bei der ’Ndrangheta. Das Erstaunen war groß. Jemandem, der so ehrenhaft und unverdächtig schien, hätte man dies nie zugetraut. Jemandem, der bei seinen australischen Mitbürgern so beliebt war, dass sie ihn sogar für mehrere Wahlperioden zum Bürgermeister wählten.
    Wenn man von der ’Ndrangheta und den anderen Mafien spricht, bleibt der Diskurs meist im Rahmen von solchen Äußerlichkeiten. Dazu gehört auch die generelle Unauffälligkeit der Organisation, die entscheidend zu ihrer Unterschätzung beiträgt, was ja schon fast ein Markenzeichen der kalabrischen Mafia darstellt. Sie hat es bisher verstanden, ihre kriminellen Aktivitäten stets hinter einer nahezu undurchdringlichen Mauer des Schweigens zu betreiben – und sich gleichzeitig im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte eine gutbürgerliche Oberfläche zuzulegen, indem ihre Exponenten gleich einem Schutzmantel eine Aura bourgeoiser Wohlanständigkeit pflegen, nicht unähnlich der Tarnkappe eines Alberich.
    Doch über die Camouflage hinaus besteht der Dual-Use-Aspekt dieser Aura darin, eines der entscheidenden Mittel zur Generierung dessen zu sein, was die italienischen Ermittler das »soziale Kapital« der Clans nennen. Damit ist das sorgsam gehegte, dichte Netzwerk aus profitierender Mitwisserschaft und Korruptions-geschmierten Beziehungen gemeint, das es den Bossen erlaubt, bis ins

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