Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
ist in Kalabrien seit jeher ein Privileg Weniger. Eine Vergünstigung, die man dank der Gnade eines Paten erhält. Aber Ciccio, der zur Ausbildung auch noch die Leidenschaft fürs Holz mitbrachte und so das kleine Unternehmen zum Erfolg führte, hatte nie einen der örtlichen Paten um einen Gefallen gebeten. Der Preis für diese aufrechte Haltung war die Zerstörung seines Lebenstraums.
In dem Augenblick, in dem die juristischen Folgen des Bankrotts einsetzen, geht es nicht um Verständnis für denjenigen, der bankrott geht. Es ist nur ein juristisches Verfahren. Objektiv, gesetzesgemäß und für alle gleich. Oder zumindest fast. Wenn der Schaden eingetreten ist und ein aufopferungsvoll geführtes Leben von der Gier einiger Mafiosi zerstört und den Flammen zum Fraß vorgeworfen wird, spielt all das keine Rolle. Der Bankrotteur muss die Schulden begleichen. Er muss die Schande der Pfändung ertragen.
So kam es auch im Falle meines Großvaters. Da es ihm nicht gelang, das Möbelwerk wieder richtig in Gang zu bekommen, konnte er die Schulden bei den Holzlieferanten und den Möbelzulieferern nicht mehr begleichen. Wenige Monate später starb er, und die Schulden wurden für die ganze Familie zur dauerhaften Erinnerung an die Tragödie.
Seit Jahrhunderten sind es diese ewigen Mafia-Feiglinge, die entscheiden, befehlen, fordern und erzwingen. Mit uns hatten sie noch mehr vor. Das Leid unserer Familie war mit dieser Julinacht 1988 noch nicht vorüber. Die letzte Bestätigung, dass die Südostküste Kalabriens nicht der geeignete Ort war, um unser weiteres Leben zu gestalten, erhielten wir am 23. Oktober 1989. Die Ermordung meines Vaters war das finale Zeichen dafür, dass man uns loswerden, uns aussteißen wollte wie Fremdkörper aus einem Organismus, in dem ohnehin bereits ein tödlicher Tumor wütet. Einem Organismus, der sich an die schlimmste aller Krebsarten angepasst hat. Bereits unfähig, die viehischen Schmerzen wahrzunehmen, die das dunkle Böse ihm zufügt, das von Innen die Hoffnungen und die Träume verschlingt. Taub gegenüber dem Schmerz, den Opfern der Mafiosi und seiner selbst.
Die Hinrichtung meines Vaters geschah auf offener Straße. Er war auf dem Heimweg von der Bank, in der er arbeitete, und wurde von uns zu Hause erwartet. Auf dem Tisch stand die Spezialität meiner Großmutter Amelia, grobe Wurst mit Brokkoli. Amelia war es immer wichtig gewesen, ihre Liebsten und insbesondere meinen Vater kulinarisch zu verwöhnen. An diesem Abend warteten wir vergeblich. Irgendein Mafioso hatte den vorzeitigen Tod meines Vaters beschlossen.
Die Schrotkugeln aus der
Lupara
zerfetzten ihn, sein Gesicht, seinen Körper. Das Attentat wurde niemals aufgeklärt. Stattdessen beerdigte dieser zweite Anschlag uns endgültig bei lebendigem Leibe. Oben die Realität und die gleichgültigen Marionetten, unten wir in unserem hoffnungslosen Zustand. Wir konnten nicht wie diese Unmenschen leben. Aber wir wollten auch nicht Teil des Drogenkartells werden.
Damals verlor ich meinen Vater, wie so viele in Kalabrien davor und danach. Ich wurde Teil der »Waisenmenge«, wie Staatssekretär Alfredo Mantovano die Opfer der verschiedenen Mafia-Gruppierungen bei der Eröffnung der Anti-Mafia-Generalversammlung 2009 etwas missglückt titulierte.
Feuer, Schrotkugeln, Tod und Bankrott – so könnte man meine Kindheit zusammenfassen. Was mir blieb, waren vage Erinnerungen an eine Zeit voller Leid, das nur durch die Liebkosungen meiner tapferen Mutter abgemildert wurde. Es war nicht zu übersehen, wie die Ungerechtigkeit sie zermürbte, wie der Schmerz an ihr zehrte. Die Liebe, mit der meine Mutter sich trotzdem um mich kümmerte, zerriss mir das Herz. Immer wieder suchte ich nach Wegen, um mich abzureagieren, um meine bittere Familiengeschichte zu ertragen.
Meine Familie, also meine Mutter und ihre Geschwister, setzten alles daran, um mich herum eine schützende Hülle zu schaffen. Sie behüteten und umsorgten mich angesichts einer unsicheren Zukunft, in der alle möglichen Gefahren lauerten. Was unsere wirtschaftliche Zukunft anging, so halfen meine Mutter, meine Tanten und Onkel in den folgenden drei Jahren unserer Großmutter dabei, das, was von der Firma
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übrig geblieben war, behelfsmäßig fortzuführen. Die Trümmer der abgebrannten Werkshalle mussten beseitigt, Schulden beglichen, Gehälter gezahlt und Ware ausgeliefert werden. Gemeinsam versuchten sie, dem wirtschaftlichen und sozialen Druck zu widerstehen, der
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