Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Erfolgsgeschichte machte, die ihren Konsens auf der Inanspruchnahme von fundamentalen Rechten durch die Arbeitnehmerschaft gründete und die ihren Bürgern einen exzellenten Service garantierte. Aber die auch stolz darauf war, sich gegenüber der Halbwelt immun zu zeigen. Noch vor ungefähr 15 Jahren hätten die Gebrüder Cosentino mit ihrer kriminellen Verwandtschaft niemals einen Fuß in die Tür der Machtzirkel der Emilia-Romagna bekommen. Niemals hätten sie dort Aufträge erhalten, selbst wenn diese grundsätzlich legal gewesen wären.
Alles ändert sich in der Emilia-Romagna. Aber nicht wie im auf Sizilien spielenden Roman
Il Gattopardo
von Tomasi di Lampedusa, in dem es heißt, »Alles ändert sich, damit sich nichts ändert«. Hier im Norden Italiens hat das Weltwirtschafts-system den Status quo bereits verändert und die meisten der Dämme hinweggefegt, die viele Jahre lang die Entwicklung hin zu einer Deregulierung der Unternehmensethik verhinderten. Heute stinkt Geld auch in der Emilia-Romagna nicht mehr. Die Finanzströme diktieren die Regeln und sorgen für Verbindungen, die früher in der Emilia-Romagna, dem Epizentrum des Widerstandes gegen den Faschismus, niemals denkbar gewesen wären.
13.
»BIT« UND »SILVIUCCIO«
Die Methoden der Mafia-Clans garantieren pünktliche Abläufe. Die Justiz dagegen mit ihren von außen verworren erscheinenden Zeitabläufen und langen Wartezeiten bietet nichts als Unsicherheit. Dieser Meinung war jedenfalls Alessandro Bitonti, ein Rechtsanwalt aus Modena. Von seinen Freunden wurde er »Bit« genannt, und auch Clan-Chef Alfonso »O Pazzo« Perrone, der auf doppelte Weise mit dem im Dezember 2011 verhafteten Oberboss des Casalesi-Clans, Michele Zagaria, verbunden war, nannte ihn so. Ein Anwalt mit einer Schwäche für Autos und Fußball. Seine Fußballbegeisterung ist so groß, dass er 2009 eine Gruppe von Unternehmern aus Modena zusammenbringt, die die Fußballmannschaft von Reggio Emilia kaufen möchte. Ein Jahr zuvor hatte er schon versucht, mit einer römischen Seilschaft den Fußballverein von Modena zu kaufen.
Diese spezielle Geschichte eines Wirtschaftsverbrechens fängt damit an, dass »Bit« bei einem Autohändler in Verona ein ganz besonderes Fahrzeug sieht. Er erliegt sofort der Faszination, die von der Luxuslimousine ausgeht, und will sie haben, koste es was es wolle. Der Rechtsanwalt spricht mit dem Verkäufer, woraufhin zwei Zwischenhändler aus Modena ins Spiel kommen. Der Verkauf wird ohne Probleme abgewickelt und »Bit« kommt zu seinem neuen Auto. Er bezahlt es in mehreren Raten ab. Jedes Mal per Scheck. Aber dann geht etwas schief. Der Verkäufer aus Verona zieht den Kaufpreis auf einmal ein, was zur Folge hat, dass der Anwalt in finanzielle Schwierigkeiten gerät.
Der unverhoffte Schachzug des Autoverkäufers verdirbt »Bit« die Laune. Er hatte ihm vertraut. Vielleicht hat er schlecht verhandelt, denkt er sich und versucht zunächst, das Problem auf legalem Weg zu lösen, und verklagt den Autohändler wegen Betrug. Aber die Mühlen der Justiz mahlen langsam. »Bit« will nicht so lange auf sein Geld warten und wendet sich daher an zwei Bekannte. Er beauftragt diese, mit dem Verkäufer zu verhandeln. Der Versuch scheitert. Die Situation verschärft sich. Bei einer Begegnung ohrfeigt ihn der Verkäufer zweimal. Das ist die Art des Autoverkäufers, dem Anwalt zu vermitteln, dass er gefälligst die Fristen der Justiz abzuwarten habe. »Bit« fühlt sich gedemütigt und wendet sich nun an Alfonso »O Pazzo« Perrone. Dieser erklärt dem Anwalt, dass seine zwei Abgesandten offenbar ein doppeltes Spiel gespielt haben und dass das nicht passiert wäre, wenn er sich gleich an ihn gewandt hätte.
Perrone ruft die beiden ungetreuen Verhandlungsführer an. Er verabredet sich mit ihnen in der Nähe eines Cafés im Zentrum von Modena. Dieses Café ist Perrones zweites Zuhause, seinem Clan dient es als Treffpunkt. Zur Verabredung kommt Perrone mit seinem Cousin Pasquale Perrone und steht dort den beiden Unterhändlern, Douglas Marchesi und Carmine Tammaro, sowie Bitonti gegenüber. Die Unterhändler erhalten für ihr falsches Spiel eine nachhaltige Lektion. Sie werden bedroht, geschlagen und der Summe beraubt, die der Autohändler »Bit« schuldete. Eine Gewalttätigkeit, die an Prozeduren in der Heimatregion der Mafia erinnert, die sich aber mitten im pulsierenden Zentrum von Modena abspielt, das mittlerweile zu einer zweiten Heimstätte der Mafiosi geworden
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