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Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Titel: Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Tizian
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diese Zustände zu beenden und eine surreale Situation aufzubrechen. »Silviuccio« fühlt sich in der Klinik als König. Er kennt die richtigen Leute. Jemand hat ihn sogar mit Frauen in Krankenzimmern gesehen. »Silviuccio« wurde wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Mord verurteilt, seine Strafe endet 2023. Er ist ein »Ehrenmann« des Ferone-Clans aus Catania, der von Pippo Ferone geleitet wird. Trotz seines Daueraufenthaltes in der Klinik geht es »Silviuccio« gut. Offiziell ist er zu hundert Prozent querschnittsgelähmt. Die entsprechenden Gutachten wurden von einem bekannten Mediziner aus Bologna unterzeichnet.
    Wenn man sich über seine eigenen Kreise hinaus begibt, so denkt sich der Klinikdirektor der Einrichtung, die »Silviuccio« beherbergt, dann kann es einem passieren, dass man die Kontrolle über die eigenen Aktionen verliert. Der Mediziner befindet sich in einer kritischen Situation. Er hat einen Mafioso begünstigt. Aber er dachte ja nicht, dass »Silviuccio« Mafioso sein könnte. Zumindest konnte er sich nicht vorstellen, dass er mit seinen Aktionen direkt ein Mitglied des Ferone-Clans aus Catania bevorteilen könnte.
    »Silviuccio«, wie ihn der Mediziner aus Bologna liebevoll nannte, heißt eigentlich Silvio Balsamo. Er beging 2011 nach einer Hausdurchsuchung Selbstmord. Er hatte Angst davor, wieder einsitzen zu müssen. Balsamo legte sich eine Schlinge um den Hals und stürzte sich dann mit dem Rollstuhl eine Treppe hinunter. Den Ermittlern zufolge sollte es eine Inszenierung gewesen sein. »Eine untypische Erhängung«, befanden sie. Ihre These ist, dass er einen Selbstmord vortäuschen wollte, um den Nachweis für seine psychischen Probleme zu erbringen, aber dann ging irgendetwas schief.
    Im Haus von Balsamo wurden Briefe gefunden, die seine Verbindung zum Clan belegen, falsche Zertifikate und ein Laptop, auf dem E-Mails gespeichert waren, die er mit Professor Mauro Menarini ausgetauscht hatte. Gefunden wurden auch Tausende von unbenutzten Kathetern. Die Ermittlungen rund um den »Selbstmord« führten zur Verhaftung des Mediziners, der Direktor der noblen
Montecatone
-Klinik in Imola und Leiter von deren Rehabilitationsabteilung war. Dazu hielt er Vorlesungen an der Universität. Im Raum Bologna ist der Name von Mauro Menarini jedenfalls wohlbekannt. Ein Arzt, dem alle vertrauen. Unverdächtig. Mit unanfechtbaren Diagnosen.
    Den Staatsanwälten der Anti-Mafia-Behörde von Bologna zufolge soll Menarini medizinische Untersuchungsberichte gefälscht haben und Balsamo eine hundertprozentige Invalidität attestiert haben. Wenigstens auf dem Papier litt Balsamo an einer verschärften Form der Syringomyelie, einer seltenen und schmerzhaften Rückenmarkserkrankung, die den Patienten an den Rollstuhl fesselt. Aber Balsamo gab nur den eingebildeten Kranken, wie im gleichnamigen Stück von Molière. Im November 2008 wurde er von der Polizei beim Autofahren erwischt, und in einem Amateurvideo war zu sehen, wie er an Weihnachten unter dem Weihnachtsbaum mit einer Freundin feierte. Dank der falschen Atteste erhielt Balsamo sogar eine Invalidenrente von 730 Euro pro Monat sowie auf Staatskosten drei Rollstühle und Medikamente. Aber der Hauptvorteil war, dass er den Hausarrest für sechs Jahre in der luxuriösen
Montecatone
-Klinik sowie drei weitere Jahre zu Hause verbringen konnte. Auf diese Weise trickste er das Strafvollstreckungsgericht aus.
    Der zwischenzeitlich verhängte Hausarrest für Menarini wurde ebenfalls aufgehoben. Bis zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ob gegen ihn Anklage erhoben wird oder nicht, sprach sich das Berufungsgericht stattdessen für eine verschärfte Meldepflicht aus. In der Zwischenzeit hatte der Verwaltungsrat der Klinik Menarini für die Dauer seines schwebenden Verfahrens von seiner Verpflichtungen suspendiert.
    Der Beschluss, mit dem die Staatsanwaltschaft den Hausarrest für den Spitzenmediziner aus Bologna beantragt hatte, enthielt die Beschreibung beunruhigender Vorgänge. Eine Ärztin klagte während der Unterhaltung mit einer Kollegin, sie habe Angst, vor der Staatsanwaltschaft, die sie vorgeladen hatte, das, was sie über Balsamo wisse, auszusagen. Sie hatte Angst vor Racheakten. Ein Hinweis auf die neue
Omertà
, das neue Schweigegebot, das mittlerweile auch in der Po-Ebene gilt.
    Drei Tage danach schrieb Menarini an einen Freund: »Ich bin verzweifelt. Die Staatsanwälte wollen meinen Kopf, dieses Mal sehe ich wirklich schwarz.« 2004

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