Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
schrieb ein Mafioso an Balsamo und bat ihn, bei Menarini schnellstmöglich für ein freies Krankenbett zu sorgen. Die Beziehung zwischen dem Mafia-Boss und dem Klinikdirektor habe im Krankenhaus zu verbreiteten Betrügereien geführt, berichtete eine Zeugin. Zudem teilte sie mit, dass sich eine minderjährige Patientin darüber beklagt habe, dass Balsamo nachts in ihrem Krankenzimmer Sex mit Frauen gehabt habe. Eine Angestellte der Klinik sagte vor der Polizei aus, dass Balsamo Menarini nur mit Glacéhandschuhen anfasste und den Direktor möglicherweise mit Kokain versorgte. Das geht auch aus einer anderen Aussage hervor, in der es heißt, dass der Direktor dem Mafioso im Tausch für Rauschgift weitere Vergünstigungen eingeräumt habe.
Keine schlüssige Antwort gibt es bislang auf die Frage, was den Klinikdirektor und den Mafioso, die eigentlich in getrennten Welten lebten, miteinander verband. Beide waren sie an Aktionen beteiligt, denen eine enge Abstimmung vorausgegangen war, und auch die Auswirkungen bekamen sie beide zu spüren. Was also ging dort wirklich vor? Welche Gegenleistung hatte man dem weltbekannten Mediziner aus Bologna angeboten, damit dieser einen Mafioso mit gefälschten Attesten vor der Gefängniszelle bewahrt? Irgendeine Form gegenseitiger Gefälligkeiten muss es gegeben haben, wie in all den anderen Fällen der illegalen Kommunikation zwischen Mafia- und Verwaltungskadern, zwischen Mafia und Politik, zwischen Mafia und Wirtschaft. Denn warum sollte jemand wie Menarini seinen über viele Jahre mühsam erarbeiteten Ruf für einen Mafioso aufs Spiel setzen?
Es ist ein deprimierendes Bild, das die Anti-Mafia-Behörde von Catania im Untersuchungsbericht zu der von ihr initiierten Operation »Iblis« zeichnete. Darin wurden auch der 2012 zurückgetretene Präsident der Region Sizilien, Raffaele Lombardo, und sein Bruder, ein Abgeordneter, der mafiösen Verstrickung beschuldigt. Es müssen sich also noch weitere hochrangige Mafia-Bosse zur Kur in der
Montecatone
-Klinik von Imola aufgehalten haben. Die Ermittlungen von Polizei und Justiz dauern in dieser Sache noch an. Neue, unangenehme Erkenntnisse sind nicht ausgeschlossen in der Welt des Gesundheitsdienstes der Emilia-Romagna. Dort, wo nicht alles so ist, wie es scheint.
14.
TIEFBAU ’NDRANGHETA GMBH
Seit mehr als einem Jahr wird Antonio regelmäßig vom Lärm der Lastwagen geweckt. Was zum Teufel machen die da nur mitten in der Nacht?, denkt er dann immer. Er ist wütend, hält es nicht mehr aus. Den ganzen Tag arbeitet er, kommt nie vor acht Uhr abends nach Hause. Seine Frau und die Kinder bekommt er nur selten zu Gesicht, manchmal beim Essen. Wenn er dann nicht sofort einschläft, sieht er noch fern. Aber das ist selten. Nach einem anstrengenden Tag auf den Straßen der Lombardei, wo Antonio als Handelsvertreter Kunden davon überzeugen muss, die Kacheln der Firma, die er vertritt, zu kaufen, ist sein einziges Ziel das Bett.
Rumpelnde Geräusche, ferne Stimmen, Gelächter. Antonio hört alles. Einmal mehr oder weniger wach, beschließt er, herauszufinden, wer diesen Höllenlärm mit den Lastwagen veranstaltet. Seltsame Dinge hat er in seinem Leben schon einige gesehen. Aber was er in den nächsten Tagen herausfinden sollte, übersteigt sein Fassungsvermögen. Dabei kennt er sich im Baubetrieb einigermaßen aus. Schließlich ist er jeden Tag auf den Straßen der Lombardei unterwegs. Überall neue Baustellen. An ihnen lässt sich erkennen, dass die Lombardei sich für die Weltausstellung 2015 rüstet.
Antonio weiß aus den Erzählungen seiner Kollegen, seiner Kunden und der Leute, denen er mittags in den Cafés begegnet, dass dort, wo Erdarbeiten zur Einrichtung einer neuen Baustelle ausgeführt werden, die Kalabresen nicht weit sind. Auch einige seiner Freunde, erfolgreiche Bauunternehmer, bestätigen seine Beobachtungen. Das Monopol der Erdarbeiten liegt in den Händen der ’Ndrangheta. So wie der Handel mit dem Kokain aus Süd- und Mittelamerika. Mit dem »weißen Gold« erwirtschaften sie exorbitante Gewinne, die sie in die legale Wirtschaft investieren.
Die Mafia-Clans investieren in alle möglichen Bereiche. Sie verschmähen weder den Handel noch Restaurants, aber sie bevorzugen eindeutig die Bauwirtschaft. Vor allem die Kernbereiche der Bauwirtschaft – von Erdbewegungen über Materialzulieferung bis hin zu Immobilienhandelsgesellschaften – sind für sie lukrative Geschäfte. Es ist schon vorgekommen, dass es Kalabresen gelang,
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