Mafia Princess
die Nerven.
Eines Tages, als sie uns wieder nicht rauslassen wollte, hielt Alessandra eine Geisterbeschwörung ab. Wir saßen um ein Brett voller Buchstaben und Zahlen und hielten den Finger auf einem Glas, das plötzlich anfing, sich sehr schnell von selbst zu bewegen.
Alessandra sagte: »Mach etwas mit Milina. Wer bist du? Wer bist du? Mach etwas mit Milina!«
Im nächsten Moment buchstabierte das Glas das Wort »Tod«.
»Nein. Nein. Nein. Das nicht.« Wir waren noch ganz junge Mädchen und hatten uns furchtbar erschreckt.
Am selben Abend gab es ein mächtiges Gewitter. Als wir am nächsten Morgen aufstanden und hinuntergingen, war Milinas Arm bandagiert. Wir wollten wissen, was los war, und sie erzählte uns: »Der Sturm hat die Fensterläden aufgedrückt. Ich wollte alles zumachen, und ich weiß nicht, wie das kam, aber ich bin aus dem Fenster auf den Balkon gestolpert.«
Wir waren verblüfft. Der Balkon war gerade erst angebaut worden. Ein paar Wochen zuvor war er noch nicht da gewesen, und sie wäre zu Tode gestürzt. Sie hatte Glück gehabt, aber uns kam es wie ein Omen vor.
Es war ein ziemlicher Schreck gewesen, aber den Spaß verdarb es uns trotzdem nicht, und selbst Mum amüsierte sich. Sie war inzwischen ganz besessen vom Fotografieren, machte dauernd Aufnahmen, und in einem Anfall von Trotz posierten wir oben ohne. Es war ein Heidenspaß, und wir lachen alle auf den Fotos. Wir Mädchen fanden das toll und kicherten die ganze Zeit, weil alle Verwandten in Kalabrien so viel altmodischer waren als unsere Familie in Mailand.
Einmal ging ich im Sonnentop eine alte Dame besuchen. Es herrschte trockene Hitze, über vierzig Grad heiß.
Sie sagte: »So gehst du doch wohl nicht raus?«
Ich antwortete: »Ich gehe bloß zum Strand!«
Darauf sie: »Du solltest wenigstens die Schultern bedecken.«
Lächelnd ging ich an den Strand. In Italien wurde ich Zeuge zweier unterschiedlicher Welten, der Welt des Gestern und der Welt des Heute. Jeden Sommer blieben Mum und ich sechs Wochen, und ich fand das himmlisch. Ich hätte mir wirklich gewünscht, dort leben zu können. Es war mir verhasst, an die windige, kalte, regnerische Küste von Blackpool zurückzukehren. Wirklich verhasst. Kamen wir im September zurück, war es dort schon wieder kalt und düster.
Aber ich war jung und kam gut zurecht mit meinem Leben. Über meine erste Liebe Michael war ich längst weg – getrennt hatten wir uns nicht, aber kurz vor meinem fünfzehnten Geburtstag hatten wir uns auseinandergelebt, und jeder ging seiner Wege. Ich amüsierte mich, ich hatte viele Freunde.
Im Sommer 1985, ich war fünfzehn, kam meine Schulfreundin Dawn mit Mum und mir nach Italien. Wir wohnten bei Großmutter, und Dawn sah das lockere, leichte Leben, und es gefiel ihr. Sie sah den Luxus und das Geld. Onkel Antonio, der sich sein eigenes Imperium geschaffen hatte, besaß ein sensationelles Penthouse in Großmutters Wohnblock. Er hatte zwei Wohnungen gekauft und zusammengelegt, und ihm gehörte auch eine Villa im Seengebiet, wohin wir fuhren.
Eines Tages beschloss er, Dawn und mich nach Rimini mitzunehmen. Auf den Straßen der übliche Sommeralbtraum mit kilometerlangen Staus. Onkel Antonio steuerte seinen Maserati auf den Seitenstreifen und brauste einfach an den in langen Reihen feststeckenden Autos vorbei. Draußen herrschte eine Gluthitze, aber wir hatten Radio und Klimaanlage voll aufgedreht und sausten nur so dahin. Dawn und ich fühlten uns wie Mitglieder der königlichen Familie – vor allem, als wir eine Suite im Grand Hotel in Rimini bezogen.
Onkel Antonio war ein fanatischer Kokainanhänger, und er reiste mit Koffern voller Kokain. Wir aßen ausgedehnt zu Mittag und genossen das Leben in vollen Zügen. Meine Tante Domenica, von allen »Mima« genannt, die uns auf der Reise begleitete, war zehn Jahre älter und viel erfahrener als wir. Sie hatte früher ausgesehen wie ein Kerl – nett ausgedrückt würde ich sagen, denn sie hatte ein mehr als streng geschnittenes Gesicht –, aber das war vor der Operation, die sie vornehmen ließ. Jetzt sah sie ziemlich atemberaubend aus und hatte Gefallen an jüngeren Männern gefunden. Allerdings nicht ganz so viel Gefallen wie am Heroin.
Sie war nicht der einzige Junkie, den ich kannte, ganz und gar nicht. Traurigerweise hatte auch Onkel Filippos Freundin Alessandra damit ein Problem. Sie war groß für eine Italienerin, wunderschön und voller Leben, nur ein paar Jahre älter als ich. Es schockierte
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