Mafia Princess
Wärter kamen und das Ende der Besuchszeit ankündigten, ließ er mich nicht los. Alle anderen gingen, und ich hielt immer noch seine Hand. Schließlich beugte er sich zu mir herab und küsste mich auf die Stirn, dann ging er und unterhielt sich mit dem Wärter, der ihm half, seine Päckchen mit den Delikatessen zu tragen.
Es wurde eine stille Fahrt zurück zu Großmutter. Ich wollte Pläne machen für den nächsten Besuch, war aber schlau genug, den Mund zu halten. Mum wusste nicht, was sie sagen sollte. Großmutter wusste wie immer, was los war, behielt es aber für sich.
In Mailand nahm mich Großmutter mit auf die Märkte. Es war ein bisschen Bestechung, denn sie kaufte mir alles Mögliche. Mum sah nur zu; sie war nicht in Shopping-Laune. Sie protestierte, als Großmutter ihr Geschenke machte, aber Großmutter drohte ihr mit dem Finger: »Patti! Ein Geschenk von der Familie darf man niemals ausschlagen.«
Mums Gesicht sah seltsam aus. Aber was konnte sie schon tun?
Auf der Rückfahrt nach – soll ich »nach Hause« sagen? – Blackpool redeten wir nicht viel über das, was uns durch den Kopf ging. Ab und zu griff Mum nach meiner Hand, und später, im Zug nach Preston, sah sie mich an und sagte leise: »Er taugt nichts, Marisa. Du brauchst ihn nicht. Ich weiß, es ist schwer, aber lass dich da nicht reinziehen. Du lebst dein Leben in Blackpool mit mir, mit deiner Familie, mit deinen Freunden. Das solltest du niemals, wirklich niemals vergessen.«
Aber das hatte ich schon in dem Moment vergessen, als mich Dad in diesem Gefängnis in die Arme schloss. Einem Gefängnis, in dem er saß, weil er einen Mann erschossen hatte.
Als wir nach Poulton zurückkehrten, wollte ich nichts anderes, als möglichst schnell wieder nach Italien fahren, nach Parma, um Dad zu besuchen. Stattdessen musste ich wieder zur Schule, wo alle von ihren Sommerferien erzählten, von Wanderungen im Lake District, von Stränden in Spanien, von Bacardi und Jungs, von Sonnenbräune und Sonnenbrand. Als ich meinen besten Freunden lang und breit vom Gefängnisbesuch bei meinem Dad erzählte, schauten sie mich verblüfft an. Wie hätten sie das auch verstehen sollen?
Es war schon so schwierig genug für mich. Vor allem wegen Mum. Immer, wenn ich Dad erwähnte, bekam sie einen Wutanfall: »Wieso willst du da noch mal hin? Du hast hier deine Schule, deine Freunde, mich. Wieso willst du alles aufgeben? Zählen wir denn gar nicht mehr?«
Nach allem, was sie durchgemacht hatte, nach allem, was sie für mich getan hatte, fühlte sie sich betrogen. Sie hatte mich dazu erzogen, Respekt vor dem Leben und vor den Menschen meiner Umgebung zu haben. Doch ihr eigener Mutterinstinkt erlaubte ihr nicht, meine Illusionen über Dad zum Platzen zu bringen. Sie sagte zwar, er tauge nichts, aber sie erzählte der Dreizehnjährigen nicht, dass Dad im Gefängnis saß, weil er einen Mann getötet und Drogen geschmuggelt hatte. Dass er ein Mafioso war. Ich weiß nicht einmal, ob das etwas an meinen Gefühlen für ihn geändert hätte. Also sparte ich weiter alles Geld, das ich mir mit einem Samstagsjob in einem Café verdiente. Ich bewahrte es in einem Schuhkarton ganz oben in meinem Schrank auf, wo Mum es irgendwann auch fand. Sie wusste, was ich da machte. Das Geld sollte helfen, unsere Sommerferien in Italien zu finanzieren. Hatte man uns dort schon immer für die arme Verwandtschaft gehalten, waren wir jetzt die Verwandten, die am Hungertuch nagten.
Die Familie dagegen badete im Geld. Großmutter war in die Immobilienbranche gegangen. Sie hatte eine größere Wohnung in der Via Christina Belgioso in der Nähe des Quarto Oggiaro gekauft. Eine Tante wohnte in einer anderen Wohnung, die Großmutter neben weiteren Wohnungen gehörte. Die Familie Di Giovine dominierte die Piazza, breitete ihr häusliches Leben über zehn Wohnungen aus.
Großmutter blieb natürlich in ihrer ursprünglichen Wohnung, der alten Zeiten wegen. Oder aus Sturheit. Es war eine Sozialwohnung, für die sie Miete zahlte. Das war eigentlich verboten, da sie Wohneigentum besaß, doch die Behörden hätten nicht gewagt, anderen Leuten die Wohnung zu geben, selbst wenn sie leer gestanden hätte. Sie wäre einem Feuer zum Opfer gefallen. Oder man hätte der neu eingezogenen Familie das Leben zur Hölle gemacht.
Der Reichtum der Familie änderte aber nichts an der Einstellung meiner Verwandten oder ihren Gefühlen füreinander. Auch milderte er nicht die Angst vor der Familie, die Großmutter in der
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