Mafia Princess
dumm war ich auch nicht. Ich meine, Dad und Großmutter saßen im Gefängnis, und die meisten meiner Onkel waren irgendwann mal im Gefängnis gewesen. Mir war also klar, dass sie nicht gerade Disneyworld leiteten. Ich wusste, ihre Unternehmungen waren dubios, aber Fragen stellte ich nicht. Ich war einfach froh, dass ich da war, zu Hause . Denn so fühlte es sich an. Ich fühle mich als Italienerin, das war schon immer so gewesen. Und jetzt wollte ich einfach nur bleiben.
Meist war ich bei Dad, doch durch den ständigen Besucherstrom gab es regelmäßige Unterbrechungen. Wenn er mit den Leuten sprach, hörten sie zu, als hinge ihr Leben davon ab. Und dafür gab es kein besseres Beispiel als Bruno. Ich sah, dass Dad ihn mochte, und die beiden waren viel zusammen, unterhielten sich übers Geschäft. Bei meinem ersten Besuch beendeten sie das Gespräch mit einem Händedruck, und als wir gingen, küsste mich Dad und rief Bruno zu: »Mach keinen Mist, Bruno. Und dass du mir ja gut aufpasst auf meine Prinzessin.«
Das tat Bruno, aber mehr, als Dad beabsichtigt hatte.
Ich stellte fest, dass ich Bruno mehr und mehr mochte. Er sah gut aus, war groß und stark und hatte schöne braune Augen. Er war vier Jahre älter als ich und war anständig gekleidet, er trug Designerjeans und Hemden, todschicke Anzüge und elegante Lederschuhe mit Kappe. Er war attraktiv, wirkte erfolgreich, und mein Vater vertraute ihm. Was könnte es also Besseres geben?
Er war außerdem immer zu Scherzen aufgelegt. Im Auto machte er allerhand lustige Sachen, schnitt Grimassen, erzählte mir Witze und brachte mich zum Lachen. Ich war jung und albern, und er war voller Selbstvertrauen und wusste, welche Knöpfe zu drücken waren, um ein siebzehnjähriges Mädchen zu beeindrucken. Das Problem war nur – und irgendein Problem gibt es immer –, dass er viele, sehr viele Mädchen beeindruckte. Mit meiner Kusine Magda, einer Tochter von Tante Santina aus einer früheren Ehe, hatte er ein loses Verhältnis, mal waren sie zusammen, mal nicht. Bruno sah es im Grunde so, dass sie nicht mehr zusammen waren, außer dass Magda alles für ihn tat. Sie fragte, ob er was zu essen wolle oder ob sie seine Wäsche machen dürfe, und er beachtete sie gar nicht. Sie war total verschossen in ihn, aber ich hielt ihn für einen Mistkerl, so wie er sie behandelte.
Brunos Eltern gehörte eine Bäckerei in Mailand, die verschiedene Schulen belieferte. Es war ein regelmäßiges, finanziell einträgliches Geschäft. Seine Eltern wollten ihn in der Bäckerei haben, aber Bruno war von seinem Wesen zu freiheitsliebend. Ein Leben im Dienst meines Vaters gefiel ihm mehr. Da hatte er ausreichend Gelegenheit, mit meinen Onkeln Alkohol zu trinken und das ständig in großen Mengen erhältliche Kokain zu genießen.
Er verbrachte mehr Zeit bei uns in der Wohnung als bei seinen Eltern. Abends schauten wir Mädchen Videos an, während die Männer in der Stadt unterwegs waren. Eines Abends war Bruno bei uns, und wir sahen Scarface . Bruno fing an, Al Pacino zu imitieren, den kokainversessenen Tony Montana, der sein Maschinengewehr, seinen »kleinen Freund«, in der Luft herumschwenkte. Ich fand das blöd. Aber Magda und die anderen Mädchen schütteten sich aus vor Lachen.
Plötzlich rief mir Bruno zu: »He, Marisa! Dieser Typ ist genau wie dein Papa.«
Er zeigte auf Al Pacino, der im Film gerade ein paar Leute wegpustete. Ich muss verblüfft geguckt haben, denn schnell sagte er: »Nein, nein, meine Hübsche. War bloß Spaß.«
Bruno begriff, dass ich nicht so viel über Dads Imperium wusste. Ehe wir Dad am nächsten Tag besuchten, nahm er mich auf eine Spritztour mit seiner Vespa mit. Wir rasten die Straßen lang, und er machte seine Scherze mit den Leuten, an denen wir vorbeikamen.
»Sie haben dahinten Geld verloren«, schrie er, und die Leute gingen zurück, um nach dem nicht vorhandenen Geld zu suchen! Solch alberne Sachen hielt ich als Siebzehnjährige damals für irre komisch. Immer lachte er, und immer war er lustig. Er war richtig nett. Und er sah gut aus. Ich merkte, wie ich ihn immer öfter musterte.
Dad sah auch, was sich da zwischen mir und Bruno anbahnte, und es gefiel ihm nicht: »Bruno, wenn du mit meiner Prinzessin rummachst, schneide ich dir den Schwanz ab.«
Ich traute meinen Ohren nicht.
Bruno fiel fast vom Stuhl. »Aber Emilio! Das muss ein Missverständnis sein. Glaubst du etwa, dass ich so dumm bin?«
Aber Bruno war tatsächlich so dumm. Dafür liebte ich ihn.
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