Mafia Princess
immer schon getan hatte – meine Lebensumstände akzeptieren und lernen, damit umzugehen. Ich könnte voller Gewissensbisse sein, ich könnte traurig sein oder wütend, aber wen sollte ich anschreien, wem sollte ich die Schuld geben? Der Welt? Ich musste nach vorn schauen.
An manchen Tagen war die Atmosphäre zum Schneiden dick, so groß waren die Spannungen. Susan May half mit, die Spannungen abzubauen. Sie schrieb amtliche Briefe für uns Insassen, an Abgeordnete des Unterhauses, Anwälte und Rechtshilfeorganisationen, und alle gingen zu ihr, sogar Myra.
Ich fragte sie: »Wie bringst du es nur fertig, in ihrer Zelle zu sitzen und Notizen zu machen?«
Ich glaube, Susans Unschuld bedeutete, dass sie das Gute in jedem sah. Aber ich verstand es nicht. Sie stammte aus Oldham, dem Ort, aus dem auch die Kindsmörderin Myra Hindley kam, sie war also mit dem Entsetzen aufgewachsen. Sie hätte sogar eines der Opfer von Myra sein können.
Ein wichtiger Grund dafür, dass ich mich im Gefängnis immer bedeckt hielt, war Sue. Ich hätte durchdrehen können, aber sie half mir, mich zu beherrschen, und war meine Stimme der Vernunft.
Trotzdem konnte ich nicht in derselben Wanne baden, in der auch Rose West gesessen hatte. Ich sah sie hineinsteigen, und ganz gleich, wie heftig ich die Wanne auch schrubbte, ich konnte sie nicht benutzen. Einmal, als ich mit Sue beim Mittagessen saß, kam sie und setzte sich zu uns. Da musste ich aufstehen und gehen. Hinterher sagte ich zu Sue: »Wenn du weißt, sie kommt, dann sag mir beim nächsten Mal Bescheid, denn ich will nicht am selben Tisch sitzen wie sie. Ich werde ihr nichts antun, aber nett will ich auch nicht zu ihr sein.«
Rose West sah nicht anders aus als die meisten Frauen, die im Supermarkt an der Kasse stehen. Böse wirkte sie nicht. Sie hatte auch keine harten Gesichtszüge. Sie hätte Hebamme oder Krankenschwester sein können. Wie ein Sexmonster wirkte sie jedenfalls nicht.
Das war allerdings keine Hilfe unter der Dusche. Die meisten Frauen bedeckten sich und trockneten sich diskret ab. Nicht so Rose West. Sie war sehr offenherzig. Nackt stand sie vor mir. Und zeigte ihren schwarzen dichten Busch von Haaren. Schlank war sie nicht. Sie trocknete sich in aller Ruhe ab, tätschelte sich, sah mich an, und mir wurde richtig unheimlich zumute.
Myra Hindley war noch beängstigender. Sie hatte so eine Aura an sich. Die Frauen riefen ihr Schimpfwörter zu, aber die Mühe hätten sie sich sparen können. Das alles hatte Myra schon millionenfach gehört. Sie hatte ein dickes Fell. Wenn man an ihrer Zelle vorbeiging, stank es, ein furchtbarer Geruch, der einem den Atem nahm, ein abgestandener Tabakgeruch.
Im Jahr 1995 flüchteten verurteilte IRA-Angehörige aus dem Gefängnis, woraufhin die Sicherheitsvorkehrungen verschärft wurden. Wir konnten unsere Einkäufe nicht mehr im Supermarkt machen lassen, und außerdem wurden die Häftlinge der Kategorie A bei Besuchen von den anderen Häftlingen separiert. Rose West durfte mit allen anderen zusammen sein, ich dagegen nicht. Wir waren Aussätzige, und die Wachen saßen mit uns am Tisch. Nichts blieb privat. Ich konnte es nicht ausstehen, bei Besuchen Kindsmörderinnen um mich zu haben. Doch ich war nun mal zusammen mit ihnen. Und das nur wegen Geld. Und das Geld hatte gar nicht viel bedeutet. Die Beträge waren immens – wie hoch kann man eine Million Dollar stapeln? Mit dem ganzen Geld durch Europa zu kutschieren war wie Monopoly spielen – doch gezogen hatte ich die Karte »Geh ins Gefängnis«.
Seit acht Monaten war ich im H-Block, als ich mich mit Lisa Corah anfreundete. Seit ihrem zwölften Lebensjahr und die ganze Teenagerzeit hindurch war sie von Philip, dem Ehemann ihrer Schwester, missbraucht worden, und das hatte sie völlig kaputt gemacht. Lisa fand es schwer, eine Beziehung aufzubauen, aber sie ging bald aus mit einem Typen namens Adrian. Eines Abends erzählte sie ihm von dem Missbrauch. Er drehte total durch. Sie bettelte ihn an: »Mach bloß nichts. Meine Schwester hat Kinder. Sie hat eine Familie.«
Ihr Schwager Philip war Milchmann von Beruf und hatte gerade um sechs Uhr früh seine Runde beendet, als Adrian ihm eine Spitzhacke in den Kopf schlug, woran er starb. Adrian rannte mit der Spitzhacke zu Lisa und sagte: »Ich habe ihn umgebracht. Was soll ich damit machen?«
Sie stand unter Schock. »Wirf das Ding da hinten in den Schuppen.«
Es flog alles auf. Die Polizei versuchte herauszufinden, wer um alles in der
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