Mafia Princess
schuldig. Aber das konnte ich nicht aufrechterhalten, als ich allein auf der Anklagebank in Newcastle saß. Meine Mutter war nur ein paar Meter von mir entfernt, und sie wirkte gedemütigt, verloren und schrecklich, schrecklich verwundbar. Sie war noch nicht einmal fünfzig Jahre alt, aber sie sah aus wie eine kleine alte Lady, voller Angst und verwirrt.
Staatsanwalt Anton Lodge hörte sich gern reden. Für ihn war Dad »der Pate«, der große Mafiaboss. Er fing an zu erzählen, wie Adele im Alter von siebzehn Jahren und im dritten Monat schwanger erschossen worden war. Die Geschworenen machten »Aah.« Und ich brach in Tränen aus und fragte: »Was hat das denn mit mir zu tun?« Ich konnte mit dem Weinen gar nicht mehr aufhören.
Meiner Mutter drohten achtzehn Monate Gefängnis wegen Beihilfe bei der Sache mit den Bankkonten. Das war ungerecht. Ich durfte nicht riskieren, dass sie auch nur einen Tag ins Gefängnis ging. Die Staatsanwaltschaft ließ mir die Wahl: Plädierte ich auf schuldig, wollte man die Anklage gegen Mum fallen lassen. Tat ich das nicht, was würde dann aus Lara? Wer würde sie großziehen? Dann sprachen sie das eine Wort aus, das mich schließlich auf schuldig plädieren ließ: Jugendamt.
Ich sagte nichts aus über Ereignisse oder Personen in England und Italien. Omertà . Hätte ich ausgesagt, hätte man mir einen besseren Deal angeboten. Sie hatten haufenweise Indizien, aber es ging dabei nur um Einzelheiten mit den Bankkonten. Hätte ich das Konto in Genf aufgelöst und wäre mit dem Geld verschwunden, hätte man mir nichts nachweisen können. Ich sah die Sache nicht als Geldwäsche. Obwohl es falsch war, sah ich damals nicht, dass das, was ich getan hatte, falsch war. Ist man jung, findet man so etwas aufregend, man ist auf einem Powertrip.
Dafür musste ich nun die Konsequenzen tragen.
Wenn Mum nicht ins Gefängnis musste, konnte sie sich um Lara kümmern. Ich musste mich schuldig bekennen, und das tat ich dann auch am 23. November 1995. Wie ich nach dem Urteil die Anklagebank verließ, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. In meinem Kopf hörte ich nur das Echo: »Marisa Merico, ich verurteile Sie zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Bringen Sie die Angeklagte hinaus.«
Als Nächstes weiß ich nur noch, dass die Sirenen heulten und wir durch die Pennines rasten. Ich war auf dem Weg zu Myra und Rose und dem Rest der gefährlichsten Frauen Englands.
Und auf dem Weg, die Liebe in verschiedenen Variationen kennen zu lernen.
15 Stellt mal einer den Regen ab?
»Love is stronger than justice.«
[Liebe ist stärker als Gerechtigkeit.]
Sting, Ten Summoners’ Tales , 1993
Das Martyrium meines Prozesses war vorbei, aber Staatsanwalt Maurizio Romanelli sprach immer noch über das Leben und die Verbrechen der Dynastien Di Giovine und Serraino vor Richtern in Mailand. Das war Teil des Regierungsprogramms Mani Pulite [Saubere Hände], in dessen Verlauf Schauprozesse geführt wurden; damit wollten die Politiker demonstrieren, dass sie aktiv gegen die Mafia vorgingen. Viele Prozesse dauerten Monate über Monate. Manche fanden in Hochsicherheitsbunkern statt, manche wurden per Fernsehen übertragen, und in allen Verfahren ging es um Mord, Drogenhandel, Geldwäsche, Waffenschmuggel und die eine Straftat, mit der sie jeden drankriegen konnten – Verbindung zur Mafia. Fast alle meine Verwandten standen vor Gericht, wegen eines oder mehrerer Vergehen.
Tante Rita war die Starzeugin, aber immer wieder musste der Richter gegen Unterbrechungen aus dem Zuschauerraum vorgehen.
»Dreckige Schlampe!«, schrie Großmutter.
Sie wurde ermahnt, Ruhe zu bewahren.
»Aber das ist meine Tochter, Euer Ehren!«
Mum hielt mich, was die Prozesse betraf, auf dem Laufenden, wenn sie mich mit Lara besuchen kam. Jeder, wirklich absolut jeder, der mich besuchen wollte, wurde überprüft, musste etliche Sicherheitsvorkehrungen der Polizei über sich ergehen lassen. Ich hatte schon während der Untersuchungshaft gelernt, wie es in Durham zuging, aber als Verurteilte hier zu sein war wieder etwas anderes. Es war so endgültig. Wenn Mum und Lara nach den Besuchen gingen, setzte ein sehr realer Schmerz ein. Ich spürte ihn, und mein ganzer Körper zitterte. Ein gebrochenes Herz tut weh.
Alles, was Mum zu mir in den vergangenen Jahren gesagt hatte, wirbelte mir im Kopf herum. Was, wenn ich auf sie gehört hätte? Was wäre gewesen, wenn? Das sind jetzt alles nur noch Worte. Ich musste eben tun, was ich
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