Mafiatod
können.«
»Was hast du in der Bibliothek vor?«
»Ich will feststellen, ob jemals etwas über Dad in der Zeitung stand.«
»Meinst du, im Zusammenhang mit der Unterwelt? Mit dem Alkoholschmuggel?« Er war aufgesprungen und funkelte mich an. »Der Kerl hat gelogen, Ray. Was für ein Sohn bist du eigentlich?«
»Ein Sohn mit wenigstens einem offenen Auge«, gab ich zurück.
Er beruhigte sich und wandte sich ab. »Zum Teufel«, murmelte er, »ich habe zu wenig geschlafen.«
»Ich bleibe nicht lange weg.«
Er warf sich bäuchlings auf sein Bett, und ich verließ das Zimmer.
5
Das Zeitungsarchiv lag in dem Block zwischen 10th und 11th Avenue, der fast völlig vom Nähmaschinenengroßhandel eingenommen war, und befand sich im zweiten Stockwerk eines Gebäudes, das wie ein Postamt aussah. Einige Zeitungen waren auf Mikrofilm kopiert, andere in dicken Bänden gebunden.
Ich sah das Register der New York Times durch. Ich fand Dads Namen unter dem Jahr 1931. Damals war er erst siebenundzwanzig Jahre alt und verheiratet, hatte aber noch keine Kinder. Er war seit zwei Jahren als Rechtsanwalt tätig gewesen.
Es ging um einen Mann namens Morris Silber, dem viele Gebäude gehörten, größtenteils heruntergekommene Mietshäuser. In fast allen befanden sich Lokale mit unerlaubtem Alkoholausschank, sogenannte Speak-easys. Silber wurde beschuldigt, mit seinem Wissen und seiner Erlaubnis sei auf seinem Grundstück Alkohol gelagert und verkauft worden. Er kam frei aufgrund der glänzenden Verteidigung durch seinen Anwalt, ein Mitglied der Firma McArdle, Lamarck & Krishman. Die Verteidigung war so brillant, dass die Times einen Artikel über diesen Anwalt, der Willard Kelly hieß, und seine Kanzlei brachte.
Die Anwaltsfirma McArdle, Lamarck & Krishman erhielt »angeblich« alle ihre Mandate direkt oder indirekt durch das Alkoholsyndikat. Willard Kelly arbeitete erst seit knapp einem Jahr bei der Firma, und es war der erste Prozess, in dem er die Verteidigung vor Gericht übernommen hatte. Der Journalist bedauerte, dass Kelly seine hervorragenden Geistesgaben an die Unterwelt verschwendete.
Da glaubt man, den eigenen Vater zu kennen. Man vergisst, dass er schon viele Jahre gelebt hat, bevor man selbst geboren wurde. Ganz plötzlich stellt man fest, dass man überhaupt keine Ahnung von ihm gehabt hat.
Ich schrieb mir alle Namen auf. Morris Silber, der Grundstückseigentümer; Andrew McArdle, Philip Lamarck und Samuel Krishman, die Teilhaber der Anwaltsfirma; George Ellingbridge, der Staatsanwalt; Andrew Shuffleman, der Richter.
Willard Kelly tauchte nicht mehr auf. Ich ging das Register der Zwanziger- und Dreißigerjahre durch und prüfte die übrigen Namen nach. Morris Silber wurde 1937 mit einem Jahr Gefängnis bestraft, weil er seine Mietshäuser verkommen ließ, etwa nichts gegen Ratten unternahm. Sein Anwalt wurde nicht genannt. Philip Lamarck starb 1935 im Alter von siebenundsechzig Jahren im Bett. Andrew Shuffleman starb im selben Jahr im Alter von einundsiebzig Jahren ebenso friedlich. George Ellingbridge wurde 1938 in das Parlament des Staates New York gewählt, jedoch nicht wiedergewählt.
Andrew McArdle verteidigte 1940 den Verbrecherkönig Anthony Edward »Eddie« Kapp bei seinem Prozess wegen Steuerhinterziehung. Der Verbrecherkönig wurde zu zweimal zehn und einmal fünf Jahren Gefängnis verurteilt, die nicht zusammengezogen wurden, sondern die er hintereinander absitzen musste. Fünfundzwanzig Jahre. Diese Frist war noch nicht abgelaufen, aber es gab ja so etwas wie Begnadigung.
Eddie Kapp. Nach 1940 tauchte er im Register nicht mehr auf, hingegen öfter zu Beginn der Dreißiger- und gegen Ende der Zwanzigerjahre. Ein Freund von Dutch Schultz und Bill Bailey. Ein bedeutender Mann in jener verrückten Zeit, als Schultz in Jersey umgelegt wurde und Bailey für zwei Wochen zum obersten Mann aufrückte. Dann ging Bailey eines Nachmittags in ein New Yorker Krankenhaus und sagte, er fühle sich nicht gut. Man gab ihm ein Bett, und um zwei Uhr in der folgenden Nacht war er tot. Auf dem Totenschein stand Lungenentzündung.
Eddie Kapp. Willard Kelly. Verbunden durch einen Mann namens Andrew McArdle.
Danach verbrachte ich einige Zeit damit, das Register des laufenden Jahres durchzusehen. Es war bis zum letzten Julitag geführt. Ich fand meinen Namen unter dem Datum vom vierzehnten Juli. Ich füllte ein Formular aus, erhielt den Mikrofilm und spannte ihn in den Bildsucher ein. Ich las von der Schießerei. Die
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