Mafiatod
gedacht, dass Bill in die Stadt kommen und mich abholen würde. Doch als ich anrief, sagte mir seine Frau, nein, Bill hätte plötzlich nach Plattsburg fahren müssen, um mit einer Speditionsfirma einen Verkaufsabschluss zu tätigen, deshalb würde mein Vater kommen. Sie gab mir die Adresse des Hotels.
Dieses Telefongespräch hatte gestern stattgefunden. Ich fand es seltsam, mit ihr zu reden. Mit der Frau meines Bruders, die ich überhaupt nicht kannte. Er hatte sie ein halbes Jahr nach meiner Versetzung nach Deutschland kennengelernt und sie acht Monate später geheiratet. Jetzt waren die beiden bald zwei Jahre verheiratet, und ich hatte die Frau noch nie gesehen.
Drei Jahre waren eine verdammt lange Zeit. Das spürte ich jetzt bis in die Knochen.
Sie hieß Ann.
Auf dem Zettel stand, dass das Weatherton Hotel an der Lexington Avenue, Ecke East 52nd Street läge. Ich stand auf und betrachtete den Linienplan am anderen Ende des Waggons. Eine Linie fuhr in Richtung Lexington Avenue, und sie hatte eine Station an der 51st Street. Das schien die richtige Verbindung zu sein.
Ich fuhr mit dem Finger über die Karte und stellte fest, wo ich mich befand. Am Union Square musste ich Richtung Lexington Avenue umsteigen.
Es war die zweite Station nach der Brücke. Ich irrte mit meinen Koffern umher, suchte nach Wegweisern, und Leute rempelten mich an. Dann sah ich das Schild zum Ausgang, und diese Richtung schlug ich ein. Zum Teufel damit. Oben auf der Straße, wieder an der Sonne, winkte ich mir ein Taxi und sagte zu dem Fahrer: »Lexington Avenue, Ecke East 52nd Street.«
Der Taxameter zeigte fünfundsiebzig Cent. Ich gab dem Fahrer einen Dollar, und ein Page trug meine Koffer hinein. Über dem Bürgersteig war eine grüne Markise, darunter stand ein Portier in Grün und Gold.
Ich sagte dem Mann am Empfang, dass ich gekommen sei, um meinen Vater, Mr. Willard Kelly senior, zu treffen. Ein anderer Page brachte mich zur Tür seines Zimmers. »Ich klopfe selbst«, sagte ich zu dem Pagen Numero zwo. »Wir feiern nämlich unser Wiedersehen.«
»Sehr wohl.« Er steckte sein Trinkgeld ein und ging.
Ich klopfte an die Tür, und mein Vater machte auf. Er lächelte mich an und rief: »Ray, du Teufelskerl!«
Ich lächelte zurück, bis mir die Wangen wehtaten. In jeder Hand einen Koffer, trat ich in das Zimmer. Er schlug mir auf die Schulter. »Du hast doch geschrieben, dass du Staff Sergeant werden willst. Was ist passiert? Hast du es nicht geschafft?«
Ich hatte es in der Mindestzeit zum Airman First Class gebracht. Zeitlich hätte es mir noch gut zum Staff Sergeant gereicht.
Nur hatte ich ihnen klargemacht, dass ich mich nicht weiter verpflichten würde. Es ist doch sinnlos, an so jemanden die Ausbildung zu verschwenden. »Ich bin zum Zivilisten befördert worden«, antwortete ich.
»Junge, du siehst großartig aus«, sagte er. »Bist gewachsen, was?«
»Das glaube ich nicht. Vielleicht breiter geworden.«
»Ja, stimmt. Sieh sich mal einer die Schultern von diesem Burschen an. Warte nur, bis du Betsy siehst, die jetzt fünf Monate alt ist.« Er strahlte. »Wie fühlst du dich als Onkel?«
»Ich weiß noch nicht. Ich habe gestern mit Ann am Telefon gesprochen. Ihre Stimme gefällt mir.«
»Sie ist großartig. Bill ist richtig häuslich geworden, sie tut ihm gut.« Dann schüttelte er zwinkernd den Kopf, trat auf mich zu, umarmte mich und tätschelte mir den Hinterkopf. »Mein Gott, Junge«, sagte er, und seine Stimme versagte.
Ich hatte mir alle Mühe gegeben, nicht loszuflennen, aber nun ging es nicht mehr. Wir weinten wie zwei Weiber und knufften uns immerzu, um uns zu beweisen, dass wir richtige Männer waren.
Dann wollte ich los, etwas essen und ein Bier trinken, doch mein Vater fand das nicht gut. Er wollte das Zimmer nicht verlassen. Da er gesund aussah, vermutete ich, dass er von der Fahrt und der Hitze nur müde war. Die Hitze draußen war schlimm, und das Zimmer hatte eine Klimaanlage.
Wir aßen in einem kleinen Restaurant, und danach wollte mein Vater sofort ins Hotel zurück. Ich hätte gern noch einen Spaziergang gemacht und mir alles angesehen, aber wir hatten uns drei Jahre nicht gesehen, und deshalb ging ich mit ihm. Auf dem Rückweg blickte ich mich immerzu um. Ich bin in New York geboren, doch meine Eltern sind weggezogen, als ich noch nicht ein Jahr alt war. Ich erinnerte mich überhaupt nicht an die Stadt. Auch nicht an meine Mutter. Sie starb, als ich zwei Jahre alt war.
Am Nachmittag saßen wir
Weitere Kostenlose Bücher