Magazine of Fantasy and Science Fiction 05 - Die Esper greifen ein
Stelle, an der die Grenze zwischen Wasser und Land gewesen wäre, hätte die Überschwemmung tatsächlich stattgefunden. Etwa eine Meile von der Stadt entfernt lief dieser niedere Grat, der zum Teil die obere Kante eines großen natürlichen Beckens bildete, in einen Kreidehügel aus. Der Boden des Talkessels bestand aus einstmals angeschwemmter Erde. Obgleich der Kreidefelsen jetzt fast ganz durch die davorstehenden Häuser verdeckt war, erkannte Mason in ihm ganz klar das Vorgebirge, das wie eine Zitadelle über die See geragt hatte. Die tiefen Wellen hatten dagegen geschlagen, so daß riesige Gischtwolken aufgestiegen waren, die mit fast hypnotischer Langsamkeit wieder auf das zurückrollende Wasser niederfielen. Bei Nacht wirkte das Gebirge noch mächtiger und finsterer, eine gewaltige Bastion gegen die See.
Einmal würde er hinausgehen, versprach sich Mason, auf dem Gipfel schlafen und sich von heranrollenden Wogen wecken lassen.
Ein Auto glitt langsam an ihm vorüber. Der Fahrer musterte Mason mit neugierigen Blicken; denn dieser stand bewegungslos mitten auf dem Pflaster, den Kopf hoch erhoben. Da er nicht noch exzentrischer erscheinen wollte, als er sowieso schon war – der einsiedlerische, zerstreute Ehemann der hübschen, aber kinderlosen Mrs. Mason (außerdem war er auch noch ehrenamtlicher Sekretär der lokalen astronomischen Gesellschaft, einer berüchtigten Gruppe von Verrückten und Sternenguckern) – bog Mason in die Straße ein, die entlang des Grats führte. Als er sich der Erhebung näherte, hielt er hinter den Hecken neben der Straße nach irgendwelchen Anzeichen von überschwemmten Gärten oder gestrandeten Autos Ausschau. Die Häuser in diesem Gebiet waren fast vollständig vom Wasser bedeckt gewesen.
Die ersten Visionen der See waren Mason vor etwa drei Wochen gekommen. Trotz allem, was dagegen sprach, war er von ihrer absoluten Richtigkeit fest überzeugt. Er bemerkte, daß das Wasser nach seinem Rückzug keinerlei Spuren hinterließ, und er verspürte auch keine Angst um die vielen Menschen, die, in ihren Betten ahnungslos schlafend, unter ihm begraben wurden. Trotz dieser Widersprüche war er von der Realität der See so überzeugt, daß er Miriam gestanden hatte, eines Nachts von den Geräuschen der heranrollenden Wellen aufgeweckt worden zu sein und die gesamte Nachbarschaft überschwemmt vorgefunden zu haben. Anfangs hatte sie nur gelächelt und die Beschreibung seiner seltsamen Traumwelt akzeptiert. Aber drei Nächte danach war sie aufgewacht, als er hereinkam, die Tür hinter sich zuwarf und keuchend nach Luft rang. Sein Gesicht war von Schweiß überzogen, und in seinen Augen flackerte ein unstetes Leuchten.
Von da an lief sie tagsüber andauernd zum Fenster, um nach der herannahenden See Ausschau zu halten. Was sie fast genauso erschreckte wie die Vision selbst, war Masons absolute Ruhe angesichts dieser furchtbaren eingebildeten Apokalypse.
Durch den ausgedehnten Spaziergang ermüdet, ließ sich Mason auf einer Mauer nieder. Einige Minuten scharrte er mit den Fußspitzen im Staub der Straße. Der Staub erinnerte ihn an das Fossil in seinem Arbeitszimmer, er strahlte das gleiche, seltsam konzentrierte Licht aus.
Vor ihm neigte sich die Straße abwärts und trug den Staub davon, auf die tiefer gelegenen Felder. Dahinter ragte der Kreidefelsen in den klaren Himmel. Auf dem Hang war eine Hütte aus Metall errichtet worden, darum herum bewegten sich Gestalten hin und her und machten sich am Eingang des Schachtes zu schaffen, an dem sie gerade einen hölzernen Aufzug befestigten. Mason wünschte, er hätte das Auto seiner Frau mitgenommen. Gespannt verfolgte er, wie die winzigen Figuren eine nach der anderen im Schacht verschwanden.
Das Bild dieses ihm unverständlichen Vorgangs ließ ihn den ganzen Tag über nicht los und verdrängte die Erinnerung an die dunklen Wellen, die durch die nächtlichen Straßen rollten.
Was Mason den immer umfassenderen Alptraum ertragen ließ, war seine Überzeugung, daß die anderen die See auch bald wahrnehmen würden.
Als er an diesem Abend zu Bett ging, saß Miriam völlig angezogen im Lehnstuhl am Fenster; ihr Gesicht trug einen entschlossenen Ausdruck.
»Was machst du denn da?« fragte er.
»Ich warte.«
»Worauf?«
»Auf die See. Kümmere dich nicht um mich. Geh schlafen. Mir macht es nichts, hier im Dunkeln zu sitzen.«
»Miriam ...« Müde ergriff Mason ihre Hände und versuchte seine Frau vom Fenster wegzuziehen. »Liebling
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