Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Magazine of Fantasy and Science Fiction 09 - Die Kristallwelt

Magazine of Fantasy and Science Fiction 09 - Die Kristallwelt

Titel: Magazine of Fantasy and Science Fiction 09 - Die Kristallwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.A.
Vom Netzwerk:
schillerte.
    Unser Schiff bewegte sich in einem weiten Bogen auf den Kai zu, an dem die Einwohner der Stadt eine Reihe von Kähnen beluden, und wir näherten uns dem prismatischen Dschungel bis auf nahezu 40 Meter. Die gestreiften bunten Muster auf unseren Anzügen verwandelten uns in eine Bootsladung voller Harlekins. Wir brachen in ein spontanes Lachen aus, das eher erleichtert als amüsiert klang. Dann deuteten einige auf die Wasseroberfläche, an der deutlich zu erkennen war, daß der Prozeß nicht nur die Vegetation beeinflußte. Mehrere Meter vom Ufer entfernt, wo einst Wasser gewesen sein mußte, befanden sich lange kristallartige Splitter; die eckigen Facetten strahlten ein blaues prismatisches Licht aus, das von den Wellen unseres Schiffes überspült wurde. Diese Splitter wuchsen in dem Wasser wie Kristalle in einer chemischen Lösung, verschluckten immer mehr und mehr Material, so daß entlang des Ufers eine angestaute Masse rhombusförmiger Speere entstand.
    Erstaunt durch das Ausmaß des Phänomens – durch die Theorie Lysenkos beeinflußt, hatte ich nicht viel mehr erwartet, als eine ungewöhnliche Pflanzenkrankheit –, starrte ich auf die überhängenden Äste der Bäume. Zweifellos waren sie noch am Leben, ihre Blätter und Zweige mit Mark gefüllt, zur gleichen Zeit aber waren sie eingeschlossen in ein kristallines Gewebe wie eine ungeheure glasierte Frucht. Überall waren Äste und Zweige von dem gleichen durchsichtigen Gitter überzogen, durch das das Sonnenlicht in den schönsten Regenbogenfarben reflektiert wurde.
    In unserem Schiff wurden jetzt die wildesten Spekulationen aufgeworfen, nur ich selbst und der bärtige Mann schwiegen. Aus einem mir unerklärlichen Grund lag mir plötzlich nicht mehr so viel daran, eine sogenannte »wissenschaftliche« Erklärung für das seltsame Phänomen, das wir gesehen hatten, zu finden. Die Schönheit des Schauspiels hatte meine Erinnerungen geweckt, und Tausende von Bildern aus der Kinderzeit, vergessen seit nahezu 40 Jahren, erfüllten mich jetzt, riefen die paradiesische Welt der frühesten Jahre in mir zurück, als alles noch so erleuchtet schien von jenem prismatischen Licht, das Wordsworth so treffend in den »Erinnerungen an die Kindheit« beschreibt. Seit dem Tode meiner Frau und meiner dreijährigen Tochter bei einem Autounfall vor zehn Jahren hatte ich solche Gefühle bewußt unterdrückt, aber die Zauberküste vor uns schien alle glücklichen Erinnerungen in mir wachzurufen.
    Die Gegenwart der Soldaten und Militärfahrzeuge und die ausdruckslosen Gesichter der Stadtbevölkerung, die evakuiert wurde, bewiesen jedoch zu deutlich, daß die kleine Enklave verwandelten Waldes – im Vergleich zu ihm schienen die Everglades monoton – bald ausgelöscht sein würde, die Kristallbäume ausgerissen und in Laboratorien überführt werden würden.
    Am vorderen Ende des Schiffes begannen die ersten Passagiere auszusteigen. Eine Hand berührte meinen Arm, und der weißgekleidete Mann, dem meine Stimmung aufzufallen schien, deutete mit einem Lächeln auf den Ärmel seines Anzugs, so, als wollte er mich ermutigen. Zu meinem Erstaunen hing ein schwacher vielfarbiger Flecken daran, der noch immer strahlte, obgleich die Schatten der Menschen, die sich jetzt rings um uns erhoben, darauffielen; es war, als hätte das Licht des Waldes den Stoff angesteckt und den Prozeß von neuem zum Leben geweckt. »Was ist ...? Warten Sie!« rief ich.
    Aber noch bevor ich ihn aufhalten konnte, eilte er den Landesteg entlang, der letzte fahle Schimmer von seinem Anzug verschwand zwischen der Menschenmenge am Kai.
    Unsere Gesellschaft wurde in mehrere kleine Gruppen aufgeteilt, und wir bewegten uns an der Wagenschlange entlang, die mit den Besitztümern der Stadtbevölkerung bepackt war. Die Familien warteten geduldig, bis sie an der Reihe waren, die Männer, Frauen und Kinder betrachteten uns ohne großes Interesse. Die Straßen waren so gut wie ausgestorben. Die Häuser wirkten verlassen, vor den Fenstern waren Läden, und vor den geschlossenen Banken und Geschäften patrouillierten Soldaten auf und ab. Die Seitenstraßen waren mit verlassenen Wagen verstopft, die bewiesen, daß der Fluß die einzige Möglichkeit zur Flucht aus der Stadt bot.
    Während wir noch die Hauptstraße entlanggingen – der glitzernde Dschungel war in der Ferne deutlich zu erkennen –, fuhr ein Polizeiwagen im schnellen Tempo die Straße entlang und blieb vor uns stehen. Zwei Männer stiegen aus, ein

Weitere Kostenlose Bücher