Magazine of Fantasy and Science Fiction 09 - Die Kristallwelt
durch die Beobachtungsstationen im Hubble-Institut auf Mount Palomar. Diese Nachricht ist in weniger als einem Dutzend Zeilen zusammengefaßt und enthält sich jeden Kommentars, obgleich die sich daraus ergebende Folgerung zwingend ist, nämlich, daß irgendwo auf der Oberfläche der Erde eine weitere Fokalebene errichtet worden ist, vielleicht in den von Tempeln gefüllten Dschungeln von Kambodscha oder in den verlassenen Wäldern des chilenischen Hochlandes. Es ist erst ein Jahr her, seit die Astronomen von Mount Palomar die erste doppelte Galaxis im Sternbild Andromeda identifiziert haben, das große an den Polen abgeplattete Diadem, das wahrscheinlich das schönste Objekt im ganzen Universum ist, die Insel-Galaxis M 31.
Obgleich diese Erscheinungen jetzt an der Tagesordnung sind – wenigstens ein halbes Dutzend »Doppelsternbilder« können jede Nacht am Himmel gesichtet werden –, bestand vor vier Monaten, als die abgeordneten Wissenschaftler auf dem Flugplatz von Miami landeten, um eine Besichtigungstour vorzunehmen, noch weitverbreitetes Unwissen darüber, was der Hubble-Effekt (wie das Phänomen in der westlichen Hemisphäre und der englischsprechenden Welt getauft worden war) in Wirklichkeit bedeutete. Außer einigen wenigen Waldarbeitern und Biologen vom Landwirtschaftsministerium der USA hatten nur wenige qualifizierte Beobachter das Phänomen selbst gesehen, und in den Zeitungen tauchten höchst unglaubwürdige Geschichten über den »kristallisierenden Wald« auf und darüber, daß sich alles in »buntes Glas« verwandelte.
Unglücklicherweise ist es praktisch unmöglich, irgend etwas, das durch den Hubble-Effekt verwandelt wird, zu fotografieren. Wie jeder Leser von wissenschaftlichen Magazinen weiß, ist es außerordentlich schwierig, Glasgeräte zu reproduzieren, und sogar mit feinstgerasterten Klischees auf bestem Kunstdruckpapier – ganz zu schweigen von der mangelhaften Bildwiedergabe des Zeitungsdrucks – ist es nicht gelungen, die gleißenden, oftmals gefächerten Gitter des Hubble-Effekts mit ihren Myriaden innerer Prismen anders als durch einen verschwommenen Schleier, der wie halbgeschmolzener Schnee aussieht, wiederzugeben.
Vielleicht aus Ärger darüber hatten die Zeitungen darauf hingewiesen, daß die Geheimnistuerei, die mit dem betroffenen Gebiet in den Everglades getrieben wurde – damals war dieses Gebiet übrigens nicht größer als drei oder vier Morgen im Nordosten von Maynard –, eine reine Willkürmaßnahme der Regierung wäre; ein großes Geschrei erhob sich, daß jeder das Recht hätte, den Ort zu inspizieren, und daß die unbekannten Schrecken nicht länger vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden sollten. Die Fokalebene, die Professor Auguste LePage in Madagaskar entdeckt hatte – im Matarre-Tal, im tiefsten Hinterland der Insel –, lag ungefähr 150 Meilen von der nächsten Straße entfernt und war völlig unzugänglich; die sowjetische Regierung hatte um ihr eigenes betroffenes Gebiet in den Pripet-Sümpfen von Weißrußland einen dichten Sicherheitsgürtel gezogen, in dem eine Legion Wissenschaftler unter der Führung des Metabiologen Lysenko jede Einzelheit des unerklärlichen Phänomens analysierte.
Bevor aus dieser Pressekampagne politisches Kapital geschlagen werden konnte, verkündete das Landwirtschaftsministerium in Washington, daß zur Besichtigung alle verfügbaren Mittel bereitstünden, und die Einladung an die Wissenschaftlichen Attaches erfolgte auch als Teil dieses Besichtigungsprogramms.
Als wir von dem Flughafen von Miami aus nach Westen fuhren, wurde sofort deutlich, daß die Zeitungen in gewisser Hinsicht recht gehabt hatten, und daß an dem Hubble-Effekt mehr war, als die offiziellen Erklärungen uns hatten glauben machen wollen. Die Hauptstraße nach Maynard war für den privaten Verkehr gesperrt, und unser Bus überholte innerhalb von 20 Meilen im Umkreis von Miami zwei Militärkolonnen. Und zusätzlich, wie um uns an die himmlische Herkunft des Phänomens zu erinnern, erfuhren wir über das Radio von einer weiteren Manifestation.
»Eben kam ein Bericht von der Associated Press in Neu-Delhi.« Georg Schneider, der Vertreter von Westdeutschland, kam nach hinten, um uns davon zu erzählen. »Diesmal gibt es Millionen verläßlicher Zeugen. Anscheinend ist es in der letzten Nacht in der westlichen Hemisphäre ganz deutlich zu sehen gewesen. Hat es niemand von Ihnen bemerkt?«
Paul Mathieu, unser französischer Kollege, verzog das
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