Magazine of Fantasy and Science Fiction 15 - Die Mauzlwürfe von Manhattan
Altstetter. Er war in dem Tearoom mit Cissie Keene, der Schauspielerin. Er würde Lincoln ermorden. Er würde Lincoln nicht ermorden. Er wollte ...
Die beiden Persönlichkeiten prallten ein letztes Mal aufeinander, dann war der Kampf endgültig entschieden. John Wilkes Booths Körper zitterte heftig und lehnte sich in die weichen roten Samtpolster zurück, mit denen die Nische ausgestattet war.
Walters Persönlichkeit, die über die Erinnerungen beider Männer verfügte, beherrschte jetzt den Körper des Schauspielers.
»John, du hast wieder einmal getrunken. Wenn du mir nicht zuhören willst ...« Die junge Dame griff nach ihrem Pompadour und wollte sich gekränkt erheben.
»Mir geht es jetzt wieder okay. Du brauchst nicht gleich fortzurennen.« Das Mädchen blieb verwundert stehen.
»Oh, Kay? Was soll das heißen?«
»Es heißt ... es heißt, daß meine Kopfschmerzen verflogen sind. Willst du dich nicht wieder setzten, Cissie? Was wolltest du sagen, als ich dich so unhöflich unterbrochen habe?« Diese elegante Floskel ging Walter ohne bewußte Anstrengung von den Lippen. Die junge Schauspielerin ließ sich noch einmal besänftigen.
»Ich habe dir eben erzählt, daß Mister Stanton es abgelehnt hat, Mister Lincoln zu begleiten. Hast du heute morgen die Parade gesehen?«
»Welche Parade?«
»General Grant ist heute morgen um neun Uhr mit dem Zug angekommen und wurde von einer Musikkapelle in sein Hotel gebracht. Auf den Straßen herrschte solches Gedränge, daß jemand mir meinen neuen Strohhut vom Kopf gestoßen hat, so daß er unter das nächste Pferd geriet und zertrampelt wurde. Seitdem wir Krieg haben, weiß kein Mensch mehr, wie man sich einer Dame gegenüber benimmt. Ich wollte dem Kerl schon die Augen auskratzen, aber dann sah ich, daß es Mister Whitman war. Er ist nur ein Schreiber bei einem Anwalt«, erklärte sie, »aber er macht schrecklich lustige Gedichte über alle möglichen Leute. Ich finde ihn nett, aber natürlich mag ich Harold lieber«, fügte sie hinzu.
»Harold? Ach, freilich, Harold!« Walter wußte, daß er diesen Harold eigentlich kannte. Es gab einen Harold, der für Fernsehreparaturen Phantasiepreise berechnete; es gab aber auch einen anderen Harold, der Cissie Keene den Hof machte. Dieser Harold war einer der Sekretäre des Vizepräsidenten Johnson.
»Du bist eifersüchtig, John! Du kennst Harold recht gut.« Sie beobachtete ihn von der Seite. »Heute mittag hat er mit mir im Shetland gegessen.« Sie sah sich um, als wolle sie die schäbige Einrichtung des Tearooms mit dem prächtigen Speisesaal des Hotels Shetland vergleichen. »Er kann mich heute abend nicht spielen sehen, weil er auf ein Telegramm warten muß, das Jacksons Kapitulation bestätigt.«
Walter bewegte seinen Teelöffel zwischen Daumen und Zeigefinger und schwieg.
»Kannst du nicht wenigstens kommen? Our American Cousin hat heute abend Premiere. Komm doch, John; wenn Grant in Washington ist, geht sowieso kein Mensch ins Theater, und ich möchte, daß jemand für mich klatscht.« Sie warf einen Blick auf die zierliche goldene Uhr, die sie an der Jacke ihres Kostüms trug, und stieß einen affektierten kleinen Schrei aus. »Ich wußte gar nicht, daß es schon so spät ist. Bitte, entschuldige mich, John. Die Vorstellung beginnt um acht Uhr, und ich habe kaum genügend Zeit, um mich vorzubereiten. Du kommst doch heute abend, John«, stellte sie fest. »Nur meinetwegen?« Er stand automatisch auf und verbeugte sich mit übertriebener Höflichkeit.
»Wahrscheinlich. Ich wollte ohnehin kommen.« Er sah ihr nach, als sie hinausging. Eigentlich war doch nichts dagegen einzuwenden, wenn er nur hinging, um die Vorstellung anzusehen. Nein!
Kurze Zeit später setzte er sich den Hut auf und ging in den trüben Aprilabend hinaus. Die kleine Pistole drückte gegen seine Rippen, während der Kasten und der Dolch die Manteltaschen nach unten zogen, als er durch die Straßen ging.
Um acht Uhr wurde er ganz in der Nähe des Theaters von einer eleganten Kutsche überholt, die von zwei Rappen gezogen wurde. In dem ungewissen Lichtschein der am Kutschbock angebrachten Lampen erkannte Walter die Gesichter der beiden Insassen nur undeutlich. Jedenfalls sah er eine ziemlich untersetzte, aber trotzdem stattliche Dame und einen Herrn dessen Gesicht unter dem hohen Zylinder von einem dunklen Bart umrahmt wurde, wodurch es jedoch keineswegs weniger hager wirkte. Die Kutsche rollte rasch an Walter vorüber und verschwand in dem Gewirr
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