Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
fertige Figur auf dem Sims trocknete, war die Rechnung. Meistens war sie lustig. «Dem Josef den Bart frisch geschwärzt», schrieb er und fragte, ob mir die Formulierung gefalle. «Dem Engel neue Flügel gemalt.» Bei Engelsflügeln war oft Gold gewünscht. Dann durfte ich in der Werkstatt nicht niesen, nicht pusten, nicht lachen, sonst flog das feine, teure Blattgold durch die Gegend.
Äußerlich war Großvater ein Grandseigneur. Niemals ging er ohne seine rötlich goldene Uhrkette und seinen Kastanienstock aus. In der Familie galt er als sturer und brummiger alter Mann. Ein Choleriker, vor dem sich alle fürchteten, außer mir. Nachdem er akzeptiert hatte, dass ich Magdalena bin und wenig sehen kann, mochte er mich. Lieber als meinen Vetter Leo, der schon zur Oberschule ging und schlechte Noten heimbrachte. Lieber als Ulrike, «Ricki», meine etwas jüngere Cousine, ein typisches Mädchen, das nur mit Puppen spielte. Mir gegenüber war Großvater weich und zärtlich, die Geduld in Person, lustig und sogar schwatzhaft, er, der sonst äußerst sparsam mit Worten war.
Er ist der Mann meiner Kindheit, der Herrgott all der Jahre, die für das Wachsen so bedeutsam sind. Ihm gehorchte ich, von ihm habe ich das meiste über die Welt erfahren, sogar meinen Namen habe ich von ihm. Meine Eltern wollten unbedingt, ich solle Annemarie heißen. Woraufhin Großvater, zaghaft unterstützt von Großmutter, ein Donnerwetter losgelassen haben soll: «Annemarie ist ein Soldatenliebchen-Name, er kommt in jedem scheußlichen Schlager vor. Die Kleine kriegt einen anständigen Namen, sie wird Magdalena sein. Magdalena Gertrud Bertha.» So war es üblich, hintendran Zweit- und Drittnamen zu hängen, Gertrud war meine gestrenge Patin vom Dorf, Bertha meine sanfte, liebe Großmutter, Frau des Annemarie-Verächters Daniel Eglin.
Zu mir hat mein Rufname gut gepasst, mit Maria Magdalena, der Sünderin, die Jesus die Füße wäscht und sie mit ihren langen Haaren trocknet, konnte ich gut auskommen. Das ist nicht eine dieser süßlichen, langweiligen, immer korrekten Heiligen. Sie ist oft von Dämonen besessen gewesen, genau wie ich, und hat interessante Aufgabenbereiche – Schutzpatronin der verführten Frauen, der Winzer, der Studenten, Friseure und Handschuhmacher. Madeleine, die französische Variante, hätte mir noch besser gefallen.
Großvater ruft! Jeden Morgen um halb neun stehe ich vor seiner Tür, Mutter liefert mich dort ab.
«Ist die Kleine fertig? Ist sie sauber?»
Natürlich bin ich fertig! Blitzsauber! Gekämmt und gewaschen, mit einer kleinen Umhängetasche ausgerüstet, die ein Vesper für unterwegs enthält. Und ich weiß, dass er weiß, wie sehr ich auf ihn warte, darauf, dass er seinen Hut aufsetzt und ich an seiner Hand hinaus auf die Straße hüpfen darf. Raus und dann um die Ecke, wo die große Schlossbergstraße verläuft, die zum Schwabentor führt und der entlang eines der vielen Freiburger Bächle fließt. Großvater geht schön langsam, man muss ihm nicht nachrennen. Autos kommen damals nur alle Jubeljahre vorbei, die Lastkarren haben meistens noch Pferde vorgespannt, zum Beispiel der Mann, der Blockeis für die Eisschränke bringt.
«Schauen, Magdalena. Schauen!»
Er sagt nie wie die anderen, dass ich nicht sähe, von ihm höre ich nichts Besorgtes, sondern nur Gescheites und viel Schönes. Beim Spazieren sehe ich schemenhaft die große Villa mit Riesenvorgarten und Kiesweg, vor der der Kutscher den Eiswagen postiert hat. Das Pferd ist braun und das Schild an der Ladefläche blau, darauf steht, wie Großvater mir erzählt, «in deutscher Schrift» das Wort EIS. Galock, galock, setzt sich das Pferd in Bewegung, galock, ganz leicht, anders als der Schritt der schweren Pferde, die den Bierwagen ziehen, die machen ga-lo-ck, ga-lo-ck-ck-ck. Ich hab mir vorgestellt, die haben so dicke Beine wie die Elefanten, die ich im Zirkus gesehen hab. «Elefantenpferde» hab ich sie getauft, «Kaltblüter», die Bezeichnung, die die Erwachsenen benutzen, finde ich ganz falsch. Denn sie fühlen sich warm an, das hab ich selbst überprüft, und die Rossbollen von denen dampfen.
«Warum können Elefanten so leis laufen, Großvater?»
«Weil sie keine Eisenschuhe haben.»
«Und warum quietschen die Schuhe vom Onkel Herbert so?»
«Weil er Gummischuhe hat und es auf dem Trottoir nass ist.»
«Warum knurren die Schuhe vom Kutscher? Grrrr. Grrrr.»
«Weil er sie nicht bezahlt hat.»
«Ist das wahr?»
«Nein, Strubele. Aber
Weitere Kostenlose Bücher