Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
sie noch härter gewesen, unterbrochen von Weinen und Zornesausbrüchen. Leserinnen und Leser können das Drama durch die Zeitgeschichte verfolgen: 1. Akt: «Du bist die Strafe Gottes!» 2. Akt: «Rassenhygiene» und Zwangssterilisation. 3. Akt: «Verantwortliche Elternschaft», das heißt: kein Kind.
Im Glauben an ihre Liebe und im Vertrauen auf Gott, und in dem Halbwissen, das ihnen die damalige Genetik anbot, haben sich Magdalena und Konrad Weingartner für ein Kind entschlossen. Heute gehen kaum noch Eltern dieses Wagnis ein. Die Generation von Lukas Weingartner hat sich dies in aller Regel schon nicht mehr zugetraut, und diese «durch genetische Beratung» forcierte Kinderlosigkeit ist ein großes Tabu. Kinder zu haben und Erwerbsarbeit, zwei wesentliche Bereiche eines Menschenlebens, bleiben den allermeisten Blinden verschlossen. Über 70% der Blinden sind gegenwärtig arbeitslos, trotz neuer technischer Hilfsmittel und intensiver Ausbildungsförderung, bei Akademikern über 90%.
«Bei einem Aprikosenbaum, der blüht, weißt du ja auch nicht, was daraus wird», sagte Magdalena Weingartner zu Beginn unseres Projekts. Alles war noch sehr vage. Wie viel Zeit würde ihr bleiben? Die Herzoperation stand schon im Raum. Wie könnte unsere Zusammenarbeit aussehen? Vorsichtshalber haben wir unsere Zuständigkeitsbereiche festgelegt, sie sollte uneingeschränkt Herrin über die Inhalte sein, ich die Regie im Erzählerischen haben, mit gewissen Freiheiten. Eine etwas künstliche, dennoch hilfreiche Trennung, in der Praxis war es dann eher wie ein Pingpong-Spiel.
Viele unserer Gespräche haben im Garten stattgefunden. Draußen zu reden fiel ihr leichter, und auch das Zuhören war dort für mich leichter und besonders reizvoll. Ihre bildreiche, lebendige Sprache, Vogelgezwitscher, Wind, die Arbeitsgeräusche von Konrad, das ergab eine ganz eigene Melodie. In gewisser Weise war der Garten ein Mitspieler, der Dritte im Bunde, in kritischen Momenten auch eine Autorität. Hey, verbeißt euch nicht! Er half uns, die Nähe zu finden, die für eine Beziehung dieser Art nötig ist, und bot, mindestens ebenso wichtig, Raum für Distanz. Das Schwierigste für mich war, dass Magdalena Weingartner nicht still sein konnte. Mir fehlte zwischen dem Reden das Schweigen, ich brauche, gerade in solch langen Interviews, diese Momente des Schweigens sehr. Es habe mit der Blindheit zu tun, dass es nicht gehe, erklärte sie mir: Für den, der nicht sehe, sei die Pause im Gespräch eine Leere.
Unsere Arbeit hat anderthalb Jahre gedauert, sie vollzog sich in zwei Etappen: Die Interviews und kleinen Ausflüge zu Schauplätzen ihres Lebens haben wir vor ihrer Herzoperation gemacht, mein Schreiben und unsere Gespräche über den Text fanden danach statt. Für den Fall, dass sie den schweren Eingriff nicht überleben würde, hatte Magdalena Weingartner ihren Mann und ihren Sohn ermächtigt, mit mir das Manuskript durchzugehen. Hilfreich war eine achtzigseitige Aufzeichnung über ihre Kindheit, die Magdalena Weingartner 1980 verfasst hat und die ich benutzen durfte. Ergänzend habe ich Magdalenas Mann und ihren Sohn interviewt. Da sie den Text nicht lesen kann, habe ich ihn für sie Kapitel für Kapitel gesprochen und auf CD gebrannt. Zum Schluss habe ich ihr das Manuskript in Sonnenmatt noch einmal komplett vorgelesen. Lukas Weingartner hat es gegengelesen – mit seinen zwei Prozent Sehkraft bewältigt er noch Gedrucktes – und manches präzisiert. Konrad Weingartner hat die Dialekt-Passagen verbessert. In den letzten Tagen war das Buch ein Familienunternehmen, sie haben uns viel abverlangt, besonders Geduld.
Ich danke den Weingartners für ihren Mut und für ihr Vertrauen, für ihre Gastfreundschaft in Sonnenmatt und die Körbe voll Obst und Gemüse, die sie mir nach Stuttgart mitgaben: vor allem natürlich Magdalena. Doch ohne die beiden Männer, die Großzügigkeit und vielfältige Unterstützung von Konrad Weingartner, dem pensionierten Dorfschullehrer, und von Lukas Weingartner, dem Publizisten für Musikwissenschaft und großartigen Organisten, wäre unser verrücktes Unternehmen nicht möglich gewesen.
Mein Dank gilt meiner Freundin Barbara Duden, aus deren Vorlesung «Der Blick», von der Geschichte des Sehens, ich viel gelernt habe. Den Freiburger Freunden Gunhild Pörksen und Uwe Pörksen für ihre Anteilnahme und Inspiration; Annelen Kranefuss für den vergnügten Sommer in Niederweiler. Die Forschungen und Gedanken von Oliver Sacks
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