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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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sag es niemand.»
    Großvater und ich hüten unsere Geheimnisse, ebenso wie wir unsere Gefühle füreinander vor den anderen verbergen. Manchmal legt er mir sachte die Hand auf den Kopf, eine Art der körperlichen Berührung, vielleicht die einzige, die ich uneingeschränkt mochte.
    Von allen Fußwegen meines Lebens ist mir der auf den Schlossberg, Hand in Hand mit Großvater, am deutlichsten in Erinnerung geblieben: Die waldige Anhöhe hinauf, durch eine hellere Zone und weiter, pochenden Herzens, durch eine tiefschattige, aus der oft der Waldhüter heraustrat mit seinem riesengroßen, kohlschwarzen Hund. Ein Bekannter von Großvater, also keiner, den ich wirklich fürchten musste. Unser tägliches Ziel war der «Rastewanderer», eine Bank, in deren Rücken sich eine künstliche, bemooste Felswand erhob. Über der Sitzlehne waren Verse eingelassen, die mir Großvater jedes Mal vorlas: «Raste, Wanderer, bedenke …» Er war so außer Puste, dass ich die Worte niemals richtig mitkriegte, es ging um den Wunderbau des Münsters, das man von dieser Anhöhe so gut wie sonst nirgends betrachten konnte. Noch immer außer Atem war er plötzlich mitten im Lobpreis Gottes. Eine schnaubende höchstpersönliche Andacht, dazu ließ er meine Hand für einige Minuten los. Bei Sonne konnte auch ich den Turm erahnen, morgens war er eine spitz zulaufende Fläche aus hellrotem Sandstein, abends, wenn das Maßwerk von Westen durchglüht war, eine schwarze, durchbrochene Silhouette. Beides unvergessliche Bilder, die ich hinübergerettet habe ins Heute, in die beinahe totale Blindheit.
    «Weiter!», rief ich Großvater zu. Weiter, ich wollte endlos weiterlaufen, ins Unbekannte, das man nicht sah. Das Entfernte erschloss sich ja nur, wenn ich die Beine benutzte und wenn ich da war, ganz nahe ranging. Großvater verbot mir nichts. «Lauf bis zur nächsten Wegkreuzung, Strubele», forderte er mich auf. «Lauf bis zu dem Baum.» Er setzte mir kleine Ziele. Vor allem der zweite Aussichtspunkt auf unserem Weg gefiel mir sehr. Dort lagen neben der Bank Kanonenkugeln aufgeschichtet, und die konnte ich anfassen. Wie kamen sie nur dahin? Was ist Krieg, und warum streiten sich Länder? Bei diesem Thema war Großvater immer einsilbig, denn er hatte selbst einen Krieg mitgemacht, den Ersten Weltkrieg. Statt Antworten gab es jetzt Vesper. Täglich einen Apfel, «der die Wangen rot macht», und ein wenig Schwarzbrot mit Butter. Ich kaute. Wir schwiegen eine Weile, und dann war er wieder bei den Raubrittern auf ihren Burgen, ich fragte, er erzählte – von Barbarossa, einem Kaiser mit rotem Bart, von Rehen und Eichhörnchen, bis seine Stimme dünn und krächzend wurde.
    Im Weitergehen nahm Großvater eine Veilchenpastille zu sich oder ein Karlsbader Tablettchen, das sei «gut gegen Heiserkeit».
    «Hast du Halsweh?»
    «Ja, Strubele. Ein wenig.»
    Sein Halsweh war der Vorbote einer schweren Krankheit. Er würde daran sterben, noch bevor meine Kindheit richtig zu Ende war.

[zur Inhaltsübersicht]
    Pflanzen- und Menschenkunde
    Meine erste Pflanzenkunde verdanke ich Großvater. Kastanienbäume hat er mir nahegebracht, er hat mir das immergrüne Efeu gezeigt oder wie das Springkraut, das «Rühr-mich-nicht-an», funktioniert.
    «Ätsch, wir rühren dich aber doch an!»
    Großvater führte meine Hand, und auf die zarteste Berührung hin regnete es klitzekleine Kügelchen auf Haut und Strickjacke, überallhin, bis in die Sandalen hinein. Darüber vergaßen wir die Zeit. Einmal auf unserer Bank hat er mir die geflügelten Früchte des Ahorns erklärt:
    «Guck mal, Magdalena, wie wunderbar die Natur ist. Fass mal hin. Hier ist der Flugkörper, zwei schöne Flügel, unten je ein Samenkorn.»
    Und ich tastete, hielt mir das grüne Ding ganz nahe ans linke Auge, und sobald ich es fertig inspiziert hatte, teilte er es und ließ mich das Klebrige auf der Innenseite fühlen.
    «Jetzt setz es dir auf die Nase.»
    Es hielt. «Pinocchio! Du auch, Großvater, du auch! Komm, wir spielen das hölzerne Bengele.»
    «Das macht die Natur nicht zu deinem Vergnügen. Diese Flügel sollen den Samen forttragen, dabei hilft ihnen der Wind. Er landet irgendwo, wo es schön ist. Und liegt dort bis in den Herbst oder länger, der Kleber verschließt die Tüte, so lange, bis er reif ist. Dann fällt der Samen raus, die Erde nimmt ihn auf.»
    Das war mein Kindergarten. In den anderen durfte ich nicht «wegen der Äugle». Ausgeschlossen sein kann auch Glück sein! Ich konnte ja nicht

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