Magermilch
klingelte das Telefon.
Es war Leni.
»Mama«, sagte sie, »in Deggendorf gab es einen Mord, deshalb kann Marco am Wochenende nicht wie ausgemacht zu mir nach Nürnberg kommen. Das bedeutet, ich werde nach Erlenweiler fahren, einverstanden?«
»Ich freu mich auf dich«, antwortete Fanni.
»Meinst du«, fragte Leni vorsichtig, »du könntest ein bisschen Zeit erübrigen und eine leckere Mehlspeise backen? Golatschen, Bavesen, Liwanzen … irgendetwas nach Mirzas Rezept?«
»Mach ich glatt«, erwiderte Fanni. »Und ich kenne noch jemand, der davon begeistert sein wird.«
»Ist Sprudel da?« Leni hörte sich alarmiert an.
»Ich dachte, du hast ihn recht gern?«
»Ich mag Sprudel sehr, sehr gern«, antwortete Leni. »Aber ich nehme an, ihr beide werdet so viel Zeit wie möglich auf der Hütte verbringen wollen.«
»Dazu haben wir werktags Gelegenheit«, entgegnete Fanni. »Übers Wochenende gehört das Hütterl dir und Marco. Ich weiß doch, dass ihr da viel lieber seid als in dem tristen Wohnblock neben Marcos Straubinger Dienststelle, wo – wie du neulich sagtest – Marco eine Betonbox gemietet hat.«
Leni klang erleichtert, als sie sich bei ihrer Mutter bedankte und sich kurz darauf verabschiedete.
Fanni legte lächelnd auf. Die Zeit und die Mühe, die sie monatelang investiert hatte, um die Hütte wohnlich herzurichten, hatten sich gelohnt. Leni und Marco liebten das Blockhäuschen mitten im Wald, zogen sich ganze Nachmittage und Abende dorthin zurück. Manchmal übernachteten sie sogar in dem Hütterl – ungeachtet der mangelnden sanitären Einrichtungen. Die Toilette befand sich in einem nur von außen zugänglichen Anbau an der Nordseite, und jeden Tropfen Wasser musste man aus dem Brunnen bei der Buche pumpen.
Leni und Marco nahmen diese Widrigkeiten vor allem auch deshalb gern in Kauf, weil sie die abgelegene Hütte vor dem Gerede der Leute bewahrte. In Erlenweiler wäre nicht unkommentiert geblieben, wer bei Rots aus- und einging.
Vor allem von Hans Rot nicht!
Fanni nickte vor sich hin. Ja, so war es. Hans Rot würde nicht mit Kommentaren sparen. Hans Rot würde es vermutlich nicht sehr gefallen, seine Tochter –
Seine vermeintliche Tochter!
– seine vermeintliche Tochter mit einem Kriminalkommissar liiert zu sehen. Kriposchnüffler rangierten weit unten auf Hans Rots Beliebtheitsskala. Er hielt es mehr mit Leuten, die eine Sparkassenfiliale leiteten, so wie Veras Mann Bernhard, oder ein Bauunternehmen führten, so wie der Vorstand des Kegelclubs.
Während Fanni mit ihrer Tochter telefoniert hatte, war Hans Rot ins Wohnzimmer umgezogen und hatte es sich mit einer Flasche Bier auf dem Sofa bequem gemacht. Die Stimme eines Sportreporters tönte aus dem Fernsehapparat.
Trifft sich gut, dachte Fanni, Hans wird von Weitsprung und Hürdenlauf für eine Weile abgelenkt sein. Sie angelte im Flurschrank nach ihrem Telefonbüchlein, suchte Marthas Nummer heraus und wählte.
Martha meldete sich beim zweiten Läuten. Ihre Stimme klang viel kräftiger als am Tag zuvor, und als sich Fanni zu erkennen gab, klang sie geradezu erfreut. »Kommst du morgen?«
»Den ganzen Nachmittag, falls du so viel Zeit für mich übrig hast«, erwiderte Fanni. Dabei fragte sie sich ein wenig bang, ob Martha inzwischen wusste, wer Willis Leiche entdeckt hatte.
Es würde sie sicher kränken zu erfahren, dass du das für dich behalten hast.
Ja, dachte Fanni, das würde es. Aber mir wäre es halt am liebsten, wenn ich es geheim halten könnte. Was für ein Theater, falls es Hans Rot zu Ohren käme.
Du kannst dich auf Marco bestimmt verlassen. Er war schon früher immer darauf bedacht, dich aus der Schusslinie zu halten.
Fanni hörte nur mit halbem Ohr hin, als Martha sagte: »Heilfroh bin ich darüber, mich mit jemandem unterhalten zu können, der mich nicht als Mörderin meines Mannes verdächtigt, so wie dieser Kommissar, der mehr flucht als denkt, wie mir scheint.«
Mich aus der Schusslinie halten, klopfte es in Fannis Kopf. Das möchte vor allem Sprudel. Dabei befinde ich mich mitten auf der Schützenscheibe.
4
Am Donnerstag, den 9. Juli, machte sich Fanni gegen halb zwei auf den Weg nach Deggendorf. Wieder fuhr sie am Kundenparkplatz der Stolzer’schen Holzhandlung vorbei und zwischen Betriebsgebäuden und Lagerhallen hindurch bis zum Ende der Teerstraße. Wieder stellte sie ihren Wagen auf dem vordersten der drei Stellplätze ab. Doch diesmal hatte sie es weniger eilig, ins Haus zu kommen.
Sie ließ den
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