Magermilch
benötigte.
»Und weißt du, wen ich da bei den Kupferrohren getroffen habe?«, fuhr er fort. »Rudolf!«
»Rudolf?«
Hans Rot setzte sich an den Tisch und beäugte misstrauisch das Gemüse auf seinem Teller. »Unseren früheren Bergfreund Rudolf Hummel.«
»Erstaunlich«, murmelte Fanni.
»Fand ich auch«, stimmte ihr Hans zu. »Da hat man sich jahrzehntelang aus den Augen verloren, und plötzlich tauchen sie alle mit Pauken und Trompeten wieder auf.«
»Mit Pauken und Trompeten?«
Hans beförderte Brokkoliröschen von seinem Teller auf Fannis. »Na, wenn das kein Knalleffekt ist: Willi tot und Martha seine Mörderin.«
»Hat Martha etwa ein Geständnis abgelegt?« Fanni versuchte, die Ironie aus ihrem Tonfall herauszuhalten – was ihr wohl nicht ganz gelang.
»Natürlich nicht«, antwortete Hans Rot. »Rudolf bezweifelt sogar, dass sie es war. ›Aber falls doch‹, sagt Rudolf, ›dann wird sie nicht klein beigeben.‹«
Er probierte ein Karottenscheibchen und verzog angewidert das Gesicht. Lustlos rührte er in seinem Teller. Plötzlich sah er auf. »Man muss Willis Mörderin einkreisen, in die Ecke drängen, ihr die Pistole auf die Brust setzen.«
Für Hans Rot ist der Fall längst geklärt! Er bläst schon zur Treibjagd!
Wo nimmt Hans nur seine felsenfesten Überzeugungen her?, fragte sich Fanni. Mal stempelt er Bauer Klein zum Mörder, mal Jäger Böckl, mal eine Freundin aus alten Zeiten. Er wählt Schuldige aus wie Bene Klein Saatkartoffeln.
»Sollte man nicht lieber ganz unvoreingenommen nach Indizien, Beweisen und Motiven suchen, bevor man die erstbeste Person als Täter brandmarkt?«, sagte sie laut.
Hans Rot schob seinen Teller weg, stand auf, ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank.
»Oho, Miss Marple wittert Morgenluft«, spöttelte er, während er eine Packung Räucherschinken, die Butterdose und ein Glas Gewürzgurken herausfischte. »Willst du dich wieder mal einmischen und alles aus dem Lot bringen, so wie damals, als du Bauer Klein, den Verbrecher, aus dem Kittchen geholt hast, wo er seit Jahren hingehört?«
Fanni biss die Zähne zusammen. Hans Rot würde ihr nie verzeihen, dass sie im Fall Mirza Klein den wahren Täter überführt hatte.
Als ihr Mann samt Lieblingsverpflegung an den Esstisch zurückkam, fragte sie: »Habe ich dich vorhin richtig verstanden? Rudolf zieht trotz Zweifeln durchaus in Betracht, Martha könnte Willis Gurt präpariert haben?«
Hans legte drei Scheiben Schinken auf ein halbiertes Brötchen, strich Senf darüber und drapierte eine Scheibe Gewürzgurke obenauf. »Klar tut er das. Muss er wohl – vernünftigerweise. Denn Martha ist die Einzige, die dafür in Frage kommt. Für mich ist das Fakt, meine Liebe. Aber Miss Fanni Dreimalklug weiß ja wieder mal alles besser.«
Er biss in das Brötchen. Seine nächsten Worte waren nur schwer zu verstehen, und Fanni streifte der Gedanke, dass Hans Rots Tischmanieren allein schon ein triftiger Scheidungsgrund wären.
»Aber«, nuschelte er, »seit der Unterhaltung mit Rudolf kann ich sogar mit einem gediegenen Motiv aufwarten – speziell für mein Fannilein, damit es nicht herumspionieren und ehrenwerte Leute aushorchen muss.« Seine Aussprache wurde deutlicher. »Zum einen haben Martha und Toni in letzter Zeit geradezu auffallend die Köpfe zusammengesteckt, zum andern gab’s Spannungen zwischen Toni und Willi. Und was schließen wir daraus, Miss Marple?«
»Du, Hans«, entgegnete Fanni, »hast vermutlich daraus geschlossen, dass Toni seine Schwägerin dazu angestiftet hat, seinen Bruder zu ermorden.«
Die Antwort ihres Mannes kam wieder undeutlich. »Willi … endlich … Lunte gerochen«, glaubte Fanni zu verstehen. Sie hörte nicht mehr hin, fragte sich indessen, warum Martha und Toni ein Mordkomplott gegen Willi hätten schmieden sollen.
Weil Hans Rot womöglich recht hat! Martha und Toni sind ein Paar. Sie wollten Willi loswerden und die Firma für sich haben!
Und was erwarteten die beiden von Gisela? Ihren Segen dazu?
»Wieso erscheint Gisela an alldem so unbeteiligt?«, fragte Fanni.
Ihr Mann grinste triumphierend. »Die Scheidung läuft, sagt Rudolf. Was die Vermögensaufteilung anbelangt, ist bereits alles notariell geregelt. Gisela hat auf ihren Anteil am Geschäft verzichtet, dafür bekommt sie einen netten monatlichen Unterhalt.«
Das hört sich übel an!
Sehr übel, falls stimmt, was Hans da zum Besten gibt, dachte Fanni.
Hans Rot verzehrte genüsslich sein Brötchen.
Im Flur
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