Magermilch
losgelassen. Weil er Fotos machen wollte, wie du annimmst.«
»Martha hat das bestätigt«, warf Fanni ein.
»Aha«, machte Sprudel, um nach einer kleinen Pause gedankenverloren fortzufahren: »Er hat losgelassen, und dieser Ring aus Kunstfaser am Klettergurt, in den das Klettersteigset eingehängt wird –«
»Die Anseilschlaufe«, spezifizierte Fanni.
»… an seinem Gurt ist gerissen, was aber nicht auf einen Materialfehler, eine Materialermüdung oder andere unglückliche Umstände zurückzuführen ist.«
»Sie ist gerissen, weil sie angeritzt war, so präpariert, dass sie bei relativ geringer Belastung reißen musste, das würden die Kriminaltechniker doch nicht behaupten, wenn sie sich nicht sicher wären«, sagte Fanni ungeduldig. »Sie war bewusst eingeschnitten worden, angesägt – egal, wie du es nennen willst. Und sag jetzt bloß nicht, Willi hätte das selbst gemacht. Wenn er sich hätte umbringen wollen, dann hätte er nur zu springen brauchen, ohne sich vorher erst umständlich anzuseilen.«
Sprudel verbarg das Gesicht in den Händen.
Er will es nicht wahrhaben! Will nicht schon wieder auf Täterjagd gehen! Vor allem diesmal nicht!
Dieser Frankl, der mit seinem dämlichen Ziegenbärtchen, seinen eng stehenden Augen und seinen gelackten Haaren aussieht wie ein Spielhallenbesitzer, hat Sprudel den Schneid abgekauft, dachte Fanni.
Woran du nicht ganz unschuldig bist, Miss Marple. Wer hat denn Sprudel dazu überredet, an den Fundort der Leiche zu gehen und dabei möglicherweise noch vorhandene Spuren zu zertrampeln? Sprudel weiß, dass er einen Fehler gemacht hat, der ihm nicht hätte passieren dürfen! Ist es da ein Wunder, dass er dafür plädiert, das Mordaufklärungsgeschäft ab sofort der Polizei zu überlassen?
Trotzdem, dachte Fanni.
Und Sprudel schien das spüren. Denn er machte – wenn auch sichtlich widerstrebend – weiter. »Wir sollten mal überlegen, wer Gelegenheit hatte, an Stolzers Klettergurt zu kommen. Hat Stolzer seine Klettersachen öfters mal verliehen? Dann kämen nämlich Hinz und Kunz dafür in Frage.«
Fanni schüttelte vehement den Kopf. »Nicht Willi. Bestimmt nicht. Willi hat seine Sachen nicht an Hinz und Kunz verliehen. Er hat seine Ausrüstung gehütet, hat sie laufend gehegt und gepflegt. Die Bergseile untersuchte er immer Zentimeter für Zentimeter, um festzustellen, ob sie vielleicht an einer Stelle auszufransen begannen. Seine Bandschlingen hat er regelmäßig erneuert, die Steigeisen nach jeder Tour eingeölt und das Verbandszeug jährlich ausgetauscht. Nur jemandem, den er sehr gut kannte und dem er vertraute, hätte er seinen Gurt geliehen. Da fallen mir keine drei Personen ein. Und«, setzte sie nach einer Verschnaufpause hinzu, »in dieser Hinsicht hat sich Willi nicht geändert. Martha hat bei unseren Treffen oft gesagt, dass Willi von Jahr zu Jahr akkurater und penibler wird.«
Sprudel rieb sich die Augen. »Wir müssen diejenigen einrechnen, die Gelegenheit hatten, Willis Gurt heimlich an sich zu nehmen, zu präparieren und ebenso heimlich wieder zurückzulegen.« Er dachte eine Weile nach. »Die aber zudem wissen mussten, dass er in diesem Quergang fotografieren wollte.«
»Darüber werde ich mich morgen ausgiebig mit Martha unterhalten«, erwiderte Fanni. Sie wollte noch etwas hinzufügen, unterbrach sich jedoch, weil von der Birkdorfer Kirche Glockengeläut herüberklang.
Fanni horchte einen Augenblick. »Was …?«
»Herz-Jesu-Andacht, Trauerfeier, Taufe«, schlug Sprudel vor.
Mittwochsmessfeier!
Fanni sah auf ihre Uhr und sog scharf die Luft ein. »Sprudel, es ist schon fünf! Hans kommt gleich nach Hause.«
Sprudel fuhr hoch. »Geh schon, Fanni. Ich mach hier den Abwasch, räume auf und schließe ab. Wenn dein Mann mitkriegt …« Sprudels Stimme verlor sich.
Als Fanni ihn ansah, erkannte sie deutlich, dass der Hoffnungsfunke in seinen Augen den besorgten Tonfall Lügen strafte.
Trennung von Hans und Fanni Rot! Sprudel würde Halleluja singen!
Sie lächelte ihn an, und er nahm sie in die Arme. »Vorsicht im Steilhang. Kein Risiko eingehen, Fanni!«
Sie nickte und eilte davon, sprintete über die Felskante und schlitterte den Steilhang hinunter.
Als Hans das Haus betrat, war der Tisch bereits gedeckt. Minestrone dampfte in den Tellern.
»Bisschen später geworden«, rief er aus dem Flur. »Musste im Baumarkt noch Flansche und Schraubenbolzen besorgen.«
Fanni fragte sich, wozu ihr Mann Flansche und Schraubenbolzen
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