Magermilch
im Wintergarten, deren Zifferblatt durch die Scheibe hindurch zu erkennen war.
»Heute bliebe mir sowieso nicht genug Zeit für ein ausgiebiges Gespräch mit Sprudel«, murmelte sie.
Fanni hatte ihrer Tochter versprochen, Jonas die Ausrüstung zurückzubringen, die sich Leni für die Venediger-Tour von ihm ausgeliehen hatte. Der Einfachheit halber hätte sie die geborgten Sachen auch ohne viel Aufhebens bei Jonas’ Mutter am Erlenweiler Ring abgeben können, aber das wäre ihr recht ungehobelt vorgekommen.
Fanni stand auf und machte sich daran, die gesäuberten Utensilien im Keller zu verstauen. Die von Jonas geborgten legte sie in den Kofferraum ihres Wagens.
Eine Stunde später trat sie in das Jagdbedarfsgeschäft der Böckls, wo sie Böckl junior beim Auszeichnen langer Herrenunterhosen aus plüschiger Kunstfaser antraf.
»Dreiuhrflaute«, sagte Jonas und bot Fanni einen Stuhl an. »Wie ist es denn gelaufen am Wochenende? Stehen eure Namen jetzt im Gipfelbuch?«
Fanni nickte und lieferte einen knappen Bericht.
Jonas’ Augen glänzten. »Ich möchte ja wirklich auch gern mal über einen Gletscher wandern.« Sehnsüchtig schaute er auf den Wandkalender über dem Tresen, auf dem unter »Juli« die Dresdner Hütte abgebildet war. »Schon vor zwei Jahren hab ich mir Steigeisen und Pickel angeschafft, und bis heute bin ich noch nicht dazu gekommen, eine Gletschertour zu machen. Haben Sie das Zuckerhütl schon bestiegen, Frau Rot? Das würde mich reizen.«
Wieder nickte Fanni.
Plötzlich prasselte Frage um Frage zu ihrer Tour zum Zuckerhütl auf sie nieder. Fanni rang um Antworten. Das lag doch alles schon so lange zurück.
Nicht recht weit her mit deinem Gedächtnis!
Um halb vier herrschte im Büchsenmacherladen noch immer Dreiuhrflaute. Jonas zeigte Fanni seine neueste Kollektion Schafwollsocken. Spontan entschied sie, für ihren Mann ein Paar zu kaufen, wählte ganz besonders dicke. Hans Rot würde es ihr danken, wenn im Dezember die Saison auf der Eisstockbahn begann.
Während Jonas das Wechselgeld abzählte, warf Fanni einen Blick aus dem Fenster. Ein roter Sportwagen mit Aufklebern an der Heckscheibe steuerte soeben die Parkbucht vor dem Laden an.
»Aha, der Hannes holt sich den Walkjanker ab, den er neulich bestellt hat.« Jonas war ebenfalls auf das Auto vor der Schaufensterfront aufmerksam geworden.
»Geht Hannes auch zur Jagd?«, fragte Fanni erstaunt.
Jonas blinzelte ihr zu. »Wäre er da mit einer Flinte nicht besser beraten?«
Sie schnitt ihm eine Grimasse.
Schmunzelnd fuhr er fort: »Hannes steht auf Walk und Loden. Und wir«, er klopfte sich an die Brust, »führen die besten Fabrikate.«
Beide schauten durch die Fensterscheibe und beobachteten Hannes, wie er sich aus dem Fahrersitz schälte.
»Kaum zu verkennen, dieses Auto, nicht wahr?«, sagte Fanni.
»Möchte man meinen«, entgegnete Jonas. »Aber Zufälle gibt’s, das glaubt man nicht.«
Fanni sah ihn erwartungsvoll an.
Mach schon, Junge! Spuck aus, was dir aufgefallen ist!
Jonas blickte noch immer auf die Parkbucht, wo Hannes inzwischen ein Gespräch mit dem Geschäftsinhaber des Friseursalons schräg gegenüber begonnen hatte. Plötzlich wandte er sich ab und fixierte Fanni.
»Vergangene Woche war’s, da bin ich mit einer Jagdgesellschaft in Tschechien gewesen. Und auf der Schnellstraße nicht weit hinter Pilsen gondelt auf einmal so ein Alfa vor mir her.« Jonas deutete auf den roten Wagen vor dem Fenster. »Der Hannes, denk ich. Was treibt denn der hier im Böhmerwald? Alles hat gepasst: die Marke, die Farbe und die Aufkleber, die schon bald die Heckscheibe zupflastern.«
Jonas’ Zeigefinger stach eine Delle in die Tüte mit den Schafwollsocken auf dem Tresen. »Aber irgendetwas an dem Wagen kam mir seltsam vor. Hat nicht lang gedauert, bis mir klar war, was. Die Giulietta vom Hannes, die röhrt nämlich nicht wie das Mähwerk vom Bauer Klein, die summt wie Mutters Nähmaschine. Und die Giulietta vom Hannes zuckelt auch nicht dahin wie die Waldbahn über den Graflinger Berg. Weil mir das Gefährt eh zu langsam war, hab ich zum Überholen angesetzt, und als ich gleichauf war, hab ich natürlich einen Blick hinübergeworfen.«
»Und wer saß drin?«, fragte Fanni gespannt.
»Nur der Fahrer«, antwortete Jonas.
»Kam er dir bekannt vor?«
Jonas schüttelte den Kopf. »War nicht viel zu sehen von dem. Er hatte eine Baseballkappe auf. Komisches Ding, schwarz mit Glitzersteinen, die so angeordnet waren.« Er malte mit
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