Magermilch
träume davon, ein zweiter Winnetou zu sein.
Fanni rief Max, der ohnehin schon vor einer halben Stunde heimgekommen war, weil Ivo seinen Stiefvater ins Lagerhaus der Raiffeisenkasse zum Kunstdüngerholen begleiten musste, aus seinem Zimmer.
»Ihr solltet noch was essen, bevor ihr losfahrt«, sagte sie und öffnete den Kühlschrank.
Hans Rot schloss ihn wieder. »Du musst uns nichts richten. Ich und Max, wir essen heute Wiener mit Kraut im Vereinslokal.«
Kurz darauf verließen die beiden das Haus.
»Gut drei Stunden freie Zeit«, murmelte Fanni, als sie den Wagen aus der Zufahrt rollen hörte.
Da wird sich Sprudel aber freuen!
Fanni schüttelte den Kopf. Nein. Mit Sprudel würde sie ein langes, ein sehr, sehr langes Gespräch führen, sobald Max wieder in Klein Rohrheim war, der Unfall auf dem Gletscher ein wenig von seinem Schrecken eingebüßt hatte und sie eventuell mit mehr Informationen aufwarten konnte. Stattdessen würde sie, jetzt gleich, noch mal mit Martha reden.
Als Fanni an der Tür des Stolzer’schen Wohnhauses klingelte, öffnete Toni.
»Martha sitzt drüben im Büro«, antwortete er auf ihre Frage. »Seit Gisela weg ist und Willi nicht mehr da, bleibt eine Menge Arbeit an ihr hängen. Die neuen Angebote müssen raus, vor allem aber die laufenden Rechnungen.«
»Dann will ich sie nicht stören«, sagte Fanni. »Grüß sie schön von mir und sag ihr, dass ich bald wieder von mir hören lasse.« Sie wandte sich zum Gehen.
»Magst du nicht mir ein bisschen Gesellschaft leisten?«, fragte Toni lächelnd. »Ich wollte mir gerade zwei Eier in die Pfanne schlagen. Danach habe ich allerdings noch einen Kundentermin. In letzter Zeit gibt es nämlich eine Menge Reklamationen auszubügeln«, fügte er, mehr mit sich selbst redend, hinzu.
Fanni zögerte.
»Komm halt rein«, bat Toni. »Oder hat nur meine Schwägerin Anspruch auf deine Unterhaltung?«
Da trat Fanni ein.
Toni führte sie die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo sich die Wohnung befand, die er viele Jahre lang mit Gisela geteilt hatte. Er holte vier Eier aus dem Kühlschrank, überließ Fanni die Bratpfanne und begann, Schwarzbrot aufzuschneiden. Nachdem er die Brotscheiben in einem Körbchen angerichtet hatte, schenkte er ein wenig Rotwein in zwei bauchige Gläser und füllte eine Karaffe mit Wasser.
Fanni nahm einen Schluck von ihrem mit viel Wasser verdünnten Wein. Toni hatte offenbar in all den Jahren nicht vergessen, dass sie so gut wie keinen Alkohol trank, erst recht wenn sie noch Auto fahren musste.
Während des Essens versuchten sie es mit oberflächlicher Plauderei. Sie sprachen über die erkleckliche Anzahl leer stehender Läden in Deggendorf, über das falsch verlegte Pflaster auf dem Stadtplatz, über das neue Restaurant neben dem Kino, über dies und über das. Letztendlich kamen sie dann auf Willi.
»Was meinst du?«, fragte Fanni geradeheraus, nachdem Toni die leeren Teller abgeräumt hatte. »Wer hat deinen Bruder auf dem Gewissen?«
»Glaub mir, Fanni«, antwortete er, »wenn ich auch nur die leiseste Idee hätte, dann würde ich damit auf der Stelle bei diesem ruppigen Kommissar vorstellig werden.«
»Kannst du mir erklären«, sagte Fanni darauf forsch, »warum dieser ruppige Kommissar dich nicht zu verdächtigen scheint, während er Martha …« Sie brach ab, weil Toni lauthals zu lachen begonnen hatte.
»Der ruppige Kommissar«, sagte er glucksend, »hat mich bald nach Willis Tod einem ziemlich ruppigen Verhör unterzogen. Aber am Ende musste er Abbitte leisten. Ich habe nämlich ein Alibi.«
»Das kann nicht sein«, entgegnete Fanni streng.
»Dann nenn es Entlastungsindiz«, antwortete Toni.
Fanni sah ihn auffordernd an.
»Schau«, sagte Toni. »Bei der ersten Bilderreportage, die Willi in den Neunzigern vom Deggenauer Klettersteig gemacht hat, war ich auf den meisten Fotos mit drauf. Als Modell sozusagen – mit Gurt und Helm, wie es sich gehört. Die zweite Reportage sollte ein, nennen wir es Pendant der ersten werden. Derselbe Klettergarten, dasselbe Modell.« Er lächelte Fanni an.
»Du und Willi, ihr hättet eigentlich gemeinsam dort sein sollen«, sagte Fanni nachdenklich.
»Gut kombiniert«, lobte Toni sie. »Aber an dem Tag, als Willi in den Klettergarten fuhr, war ich auf einer Handwerksmesse. Ich vermute, dass er der reizvollen Lichtverhältnisse wegen schon mal ein paar Fotos von den Leitern und Drahtseilen vorweg machen wollte und den Rest dann wie geplant später mit mir. Und jetzt,
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