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Magermilch

Magermilch

Titel: Magermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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dem Zeigefinger Spiralen auf die Ladentheke.
    »Konntest du das Kennzeichen erkennen?«, fragte Fanni aufgeregt.
    »Ehrlich gesagt, darauf hab ich überhaupt nicht geachtet«, erwiderte Jonas. Plötzlich lachte er. »Auf Verbrecherjagd, Frau Rot?«
    Hannes enthob sie einer Antwort. »Na, du Hasenschreck. Hast du meinen Janker endlich geliefert gekriegt?« Er knuffte Fanni in die Seite, was sie als Begrüßung wertete.
    »Bitte sehr«, Jonas griff in ein Fach unter dem Tresen, »du kannst ihn gleich mal anprobieren.«
    »Keine Zeit«, rief Hannes. »Die Verbandssitzung der Gewerbetreibenden fängt in zehn Minuten an. Ich hab’s furchtbar eilig.«
    Er schnappte sich das Paket, das Jonas herausgezogen hatte, und knallte seine Kreditkarte auf den Ladentisch. »Du solltest dich auch langsam auf den Weg machen, Hasenjäger.«
    »Ladendienst«, antwortete Jonas lakonisch. »Zur Sitzung kommt mein Vater.«
    Hannes war bereits aus der Tür.
    »Sitzung«. Dieses Wort rief Fanni in Erinnerung, dass Jonas kürzlich als jüngstes Mitglied in den Stadtrat gewählt worden war.
    »Dein Vater hat mir neulich verraten, wie viele Deggendorfer dich als Stadtrat haben wollten«, sagte sie. »Gratuliere.«
    »Danke, Frau Rot«, erwiderte Jonas höflich. Dann lachte er. »Mein Alter platzt fast vor Stolz.«
    Kein Wunder, dass sich der Böckl freut, dachte Fanni. Endlich ist sein Sohn zur Vernunft gekommen, endlich nutzt Jonas seine Talente so, wie es sich ein Vater wohl wünscht. Endlich, nachdem der Bengel gut fünfundzwanzig Jahre lang nicht zu bändigen gewesen war.
    Plötzlich erschrak sie.
    Jonas schien es bemerkt zu haben, denn er fragte: »Was ist denn, Frau Rot?«
    »Mir ist gerade eingefallen«, antwortete sie verlegen, »dass ich dich noch immer duze, während du mich mit ›Frau Rot‹ ansprichst. Das geht aber jetzt nicht mehr.«
    Jonas tätschelte ihren Arm. »Wir behalten das so bei. Sie waren schon immer eine Respektsperson für mich. Bei Ihnen hab ich mich nicht mal getraut, ans Garagentor zu pissen.«
    Fanni wurde noch verlegener. »Wie gefällt dir dein Amt als Stadtrat?«, fragte sie, um über ihre momentane Unsicherheit hinwegzukommen.
    Jonas runzelte die Stirn. »Sie werden es nicht glauben, Frau Rot. Aber das Erste, was mir widerfahren ist, war, dass mich einer schmieren wollte.«
    Fanni sah ihn verdutzt an.
    »Die Stadt hat ständig Aufträge zu vergeben«, erklärte Jonas. »Straßenarbeiten, Baumaßnahmen, Müllabfuhr. Büroeinrichtung muss angeschafft werden und so weiter. Für offizielle Empfänge braucht man Bier, Leberkäs, Brezen – ein komplettes Abendbüfett im Fall des Falles. Sämtliche Geschäftsleute der ganzen Gegend sind scharf drauf, einen Auftrag von der Stadt an Land zu ziehen. Die sind nämlich lukrativ, diese Aufträge, das sag ich Ihnen, Frau Rot.«
    »Wer …?«, begann Fanni, aber Jonas schnitt ihr das Wort ab.
    »Ich hab ihm den Marsch geblasen, Frau Rot. Hinhängen tu ich ihn nicht. Deshalb rück ich auch nicht damit raus, wer’s war. Auch vor Ihnen nicht, Frau Rot, obwohl ich weiß, dass Sie den Mund halten würden.«
    »Wenn mich meine Nase nicht foppt«, sagte Fanni darauf und wandte sich zum Gehen, »dann kommt dieser anrüchige Kerl aus der Holzbranche.«
    Die Ladentür schwang mit einem waidmännischen Hörnerklang zu. Als Fanni draußen das Schaufenster passierte, sah sie aus dem Augenwinkel, dass Jonas ihr verblüfft nachschaute.

12

    Nicht nur weil Max nach wie vor zu Besuch da war, wollte Fanni auch an den folgenden Tagen auf ein ausgiebiges Beisammensein mit Sprudel verzichten.
    Am Mittwoch war sie morgens sehr früh aufgewacht und hatte – mehrmals – die Gründe Revue passieren lassen, die sie davon abhielten, sich ihm anzuvertrauen. Da war zum einen der Vorfall auf dem Venediger-Gletscher. Sprudel hatte sie nur widerstrebend allein mit auf Willis Gedenktour fahren lassen. Und prompt war was passiert.
    Zum andern war Sprudel, nachdem ihm Frankl bereits am Tag von Willis Absturz im Klettergarten und gleich darauf bei Fannis Vernehmung den Wind aus den Segeln genommen hatte, ohnehin sehr zögerlich – wenn nicht widerwillig – an den Fall herangegangen.
    Zu alldem fühlte sich Fanni außerstande, in Worte zu fassen, was in ihrem Kopf vorging. Sie sah sich nicht in der Lage, jene Kleinigkeiten, Hinweise, Gesprächsfetzen, die mit ihren Gedanken Karussell fuhren, anzuhalten und so aufzureihen, dass sie als Argumente taugten und sich zu einer vernünftigen Leseart

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