Magermilch
sie gesagt. »Das müsste ich schaffen.«
»Du brauchst nicht zu hetzen«, hatte Sprudel geantwortet. »Ich habe eine Ladung Brennholz geliefert bekommen und einen Teil davon zum Hütterl hinaufgebracht. Es muss unter dem Vordach aufgeschichtet werden. Damit kann ich mich beschäftigen, bis du kommst.«
Am Sonntagabend, als sie und Hans Rot nach Erlenweiler zurückkehrten, hatte Fanni mit Auspacken und Abendbrotrichten alle Hände voll zu tun.
Sie fahndete in der Tiefkühltruhe im Keller gerade nach dem Knoblauchbaguette, als sie Hans Rot, der es sich mit der Zeitung im Wohnzimmer bequem gemacht hatte, rufen hörte: »Toni hatte einen Unfall.«
Fanni eilte die Treppe hinauf.
»Hier«, sagte ihr Mann, »es steht in der Samstagszeitung.«
Fanni las die Zeile, auf die Hans Rots Zeigefinger tippte. Es handelte sich nur um eine kurze Notiz. Tonis Wagen war am Freitagmorgen kurz hinter Plattling von der Straße abgekommen und hatte sich überschlagen.
Fanni lief in den Flur und wählte Marthas Nummer.
»Er liegt im Krankenhaus«, berichtete Martha. »Günther ist schon das ganze Wochenende über bei ihm. Toni hatte Glück, sagen die Ärzte. Ein paar Kratzer, zwei Rippen …«
»Wie ist denn das Unglück passiert?«, unterbrach Fanni sie.
»Die Steuerung soll versagt haben«, antwortete Martha.
So, so, die Steuerung von Tonis Wagen hat versagt, kommt ja schließlich jeden Tag vor, dass Steuerungen versagen!
Hans Rot schlurfte aus dem Wohnzimmer.
Als er – offenbar auf dem Weg ins Bad – an Fanni vorbeiging, hörte sie ihn murmeln: »Dermaßen neugierig, das Weibervolk. Alle so brutal neugierig – alle, ohne Ausnahme.«
Fanni wechselte noch ein paar Worte mit Martha, dann legte sie auf. Der Klingelton, der im selben Augenblick ertönte, ließ sie zusammenfahren.
Eilig hob sie wieder ab und war mit Leni verbunden.
Ihre Tochter hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. »Der Unfall am Venediger – ich hab Marco davon erzählt, als wir am Montag miteinander telefoniert haben – hat ihm keine Ruhe gelassen«, begann sie, und ihre Stimme klang streng, fast fremd in Fannis Ohren. So redete Leni nur, wenn sie etwas sehr Ernstes, schier Unfassbares zu sagen hatte. »Nach seinem Seminar hat er sich am Freitag gleich auf den Weg zu mir nach Nürnberg gemacht. Und ich musste alles immer wieder mit ihm durchgehen. Als er gemerkt hat, dass wir so nicht weiterkommen, hat er sich an einen Kollegen von der Kriminaltechnik gewandt, der früher mal Dachdecker war und sich bestens mit Sicherungstechniken auskennt. Mit ihm haben wir uns heute Nachmittag getroffen und die Szene nachgestellt – hundertmal ungefähr. Aber letztendlich haben wir die einzig mögliche Lösung gefunden.«
Während Leni Atem schöpfte, ergänzte Fanni: »Und zwar die, die uns Rudolf schon auf dem Ecktisch im Defreggerhaus demonstriert hat. Jemand hat den Karabiner aus der Bandschlinge gehakt und das Seilende samt Karabiner dann locker wieder durch die Schlinge durchgeschlungen, sodass er zwar nicht wegrutschen konnte, aber bei Belastung herausschlüpfen musste.«
»Genau«, sagte Leni. »Und wir wissen auch mit ziemlicher Sicherheit, wer das gemacht haben muss.«
»Magermilch war’s«, sagte Fanni.
»Magermilch?«
Fanni horchte kurz auf die Geräusche aus dem Badezimmer, bevor sie zu antworten wagte. Als sie Duschwasser rauschen hörte, begann sie in kurzen, gedrängten Sätzen das zu berichten, was sie über Willi Stolzers Mörder herausgefunden und sich nach und nach über ihn zusammengereimt hatte.
»Mami«, rief Leni alarmiert. »Du bist in Gefahr! Er wird es wieder versuchen. Offenbar hat er ja schon länger den Verdacht, dass du was aufgespürt hast. Bist du allein zu Hause?«
»Nein, nein«, antwortete Fanni beruhigend. »Papa ist da. Und morgen, bald nachdem er ins Büro gefahren ist, treffe ich mich mit Sprudel am Hütterl.«
»Gut«, sagte Leni hörbar erleichtert. »Niemand weiß von dem Hütterl. Da bist du sicher, und Sprudel ist der beste Aufpasser, den ich mir für dich vorstellen kann. Außerdem will Marco heute noch zurückfahren, sich gleich morgen früh mit seinem Kollegen Frankl besprechen und dann diesen Schuft – diesen Magermilch zur Vernehmung ins Kommissariat bringen lassen.«
Die Badezimmertür öffnete sich einen Spaltbreit. »Mit wem quasselst du denn jetzt schon wieder? Schau mal auf die Uhr, wie spät es ist!«
Hans Rots Zwischenbemerkung schien Leni nicht entgangen zu sein. »Pass auf dich auf, Mami«,
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