Maggie O´Dell 01 - Das Boese
diesmal jedoch weder Mantel noch Stiefel aus.
„Ich habe dir ein paar Sachen gebracht.“ Seine Stimme war freundlich und sanft.
Timmy kam zur Bettkante, zeigte Interesse und tat unerschrocken.
Der Mann gab ihm mehrere Comics, alte zwar, aber in gutem Zustand. Timmy hatte sie zunächst für neu gehalten, bis er die veralteten Preisschilder las. Er reichte ihm auch einen Packen Baseballkarten, die von einem Gummiband zusammengehalten wurden. Dann begann er Lebensmittel auszupacken und füllte die Kiste, in der Timmy die Schokoriegel gefunden hatte. Er sah den Mann eine Packung Cap‘n Crunch Cereals herausholen, weitere Snickers, Maischips und einige Dosen SpaghettiOs.
„Ich habe versucht, dein Lieblingsessen zu besorgen.“ Er sah Timmy an, als wolle er ihm eine Freude bereiten.
„Danke“ , sagte Timmy aus Gewohnheit. Der Mann nickte, und seine Augen strahlten wieder, als lächle er. „Woher wissen Sie, dass ich Cap‘n Crunch mag?“
„So was merke ich mir“ , erwiderte er leise. „Ich kann nicht bleiben. Kann ich dir sonst noch etwas besorgen?“
Timmy sah, dass er die Kerosinlampe löschte, und bekam Angst. „Kommen Sie vor Einbruch der Dunkelheit zurück? Ich bin nicht gern im Dunkeln.“
„Ich versuche zu kommen.“ Er ging zur Tür, sah noch einmal zurück, langte seufzend in die Tasche und zog etwas Glänzendes heraus.
„Ich lasse dir mein Feuerzeug da, falls ich nicht zurückkommen kann. Aber sei vorsichtig, Timmy, dass du keinen Brand entfachst.“
Timmy wurde wieder ein wenig übel vor Angst. Aber vielleicht lag es auch bloß an den Sachen, die er gegessen hatte. Er hasste es, eingesperrt zu sein. Aber wenn der Mann nicht zurückkam, konnte er ihm auch nicht wehtun. Ihm blieb der ganze Tag, seine Flucht zu planen. Er nahm das Feuerzeug und ließ die Finger über die glatte Oberfläche gleiten. Er erkannte das Logo, das auf die Innenseite gestempelt war. Er hatte es viele Male an den Jacketts und Uniformen von Großvater und Onkel Nick gesehen. Es war das Abzeichen des Sheriff Department.
60. KAPITEL
Das Kaffeearoma ekelte Maggie, obwohl Kaffee das einzige Mittel gegen die Folgen des Scotch zu sein schien. Sie aß einen Bissen Rührei und Toast und beobachtete die Tür des Lokals. Nick hatte gesagt, es würde nur zehn, fünfzehn Minuten dauern. Das war vor einer Stunde gewesen. Der kleine Diner begann sich mit Frühstücksgästen zu füllen. Farmer mit Kappen saßen neben Geschäftsfrauen und -männern in Kostümen und Anzügen.
Sie hatte Christine heute Morgen nur ungern verlassen, obwohl sie wusste, dass sie ihr nicht helfen konnte. Sie war nie besonders gut im Trösten oder Händchenhalten gewesen. Ihre prägende Erfahrung als schlaksige Zwölfjährige war wohl die, eine betrunkene Mutter die Treppe zum schäbigen Apartment hinaufzerren zu müssen, und für eine fast Bewusstlose brauchte man keine tröstenden Worte. Auch als FBI-Agentin musste sie nicht unbedingt firm in Etikette sein. Sie hatte in erster Linie mit Leichen oder Psychopathen zu tun. Um Angehörige von Opfern zu befragen, musste sie lediglich höfliche Anteilnahme zeigen. Jedenfalls hatte sie sich das vor langer Zeit eingeredet.
Doch letzte Nacht war sie fast gelähmt gewesen vor Schreck. Sie kannte Christine kaum, ein gemeinsames Abendessen schuf noch keine Freundschaft. Doch Timmys kleines, sommersprossiges Gesicht hatte sich ihr eingeprägt. In den acht Jahren ihrer Mörderjagd hatte sie nie ein Opfer persönlich gekannt. Allerdings erinnerte sie sich an jede Leiche. Sie war sozusagen in ihrem geistigen Notizbuch eingetragen. Sie konnte und wollte sich nicht vorstellen, auch Timmy zu dieser Sammlung quälender Bilder hinzuzufügen.
Schließlich kam Nick zurück, entdeckte sie, winkte und kam auf ihre Nische zu. Unterwegs blieb er jedoch immer wieder stehen und sprach kurz mit Gästen. Er war in seiner üblichen Uniform aus Jeans und Cowboystiefeln. Nur trug er diesmal unter seiner offenen Jacke ein Sweatshirt der Nebraska Cornhuskers. Sein Kiefer war nicht mehr geschwollen, nur noch bläulich verfärbt. Nick wirkte erschöpft und hatte nach dem Duschen weder die Haare gekämmt noch sich rasiert, was ihn allerdings noch attraktiver machte.
Er setzte sich ihr gegenüber und nahm die Speisekarte hinter dem Serviettenhalter hervor. „Richter Murphy zögert mit dem Durchsuchungsbeschluss für das Pastorat“ , erklärte er ruhig und studierte die Speisekarte. „Er hat kein Problem mit dem Pickup, aber er glaubt
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