Maggie O´Dell 01 - Das Boese
wenn ich frage, aber das sieht nicht nach einer Operationsnarbe aus.“
„Ist es auch nicht“ , bestätigte sie und fuhr mit dem Finger die rote Narbe entlang. Auf der Schulter bemerkte Christine eine zweite rote Wunde. „Das war ein Geschenk“ , fuhr Maggie fort. „Eine Erinnerung an einen Mörder, den ich fangen half.“
„Ich mag mir die schrecklichen Dinge, die Sie schon erlebt haben, nicht mal vorstellen.“
„Das gehört zum Job. Haben Sie ein Unterhemd oder T-Shirt, das ich anziehen könnte?“
„Unten links. Wie schaffen Sie es, sich von alledem nicht beeindrucken zu lassen?“
„Wer sagt, dass es mich nicht beeindruckt?“ Maggie wand sich aus dem BH und zog das straffe cremefarbene Hemd über. Zufrieden mit dem Sitz, stopfte sie es in den Bund ihrer Jeans. „Ich versuche, nicht darüber nachzudenken.“
Der rote Pulli saß ebenfalls eng, durch das Hemd wurden die Konturen jedoch gemildert. Sie trug ihn über der Jeans.
„Danke“ , sagte sie und drehte sich zu Christine um.
„Die Leichen von Danny und Matthew waren übel zerschnitten, nicht wahr?“ Christine hatte für ihren Artikel bereits alle grausigen Details recherchiert und wollte es nur bestätigt haben. Sie merkte Maggies Unbehagen bei der Frage.
„Wir finden Timmy“ , versicherte sie nur. „Nick hat schon Richter Murphy eingeschaltet. Wir bekommen einen Durchsuchungsbeschluss, wir haben einen Verdächtigen.“
Der Reporter in ihr hätte fragen müssen, für was der Durchsuchungsbeschluss war. Wer war der Verdächtige? Doch die Mutter in ihr plagte das Bild eines kleinen zarten Jungen, der verängstigt irgendwo in einer dunklen Ecke hockte. Konnten sie ihn wirklich finden, ehe auch seine zarte, helle Haut voller roter Schnitte war? „Er bekommt so leicht blaue Flecke“ , sagte sie mit Tränen in den Augen.
Maggie sah es vom anderen Ende des Raumes, respektierte ihre Gefühle und hielt Abstand.
Christine war ihr dankbar dafür. Sie wollte nicht wieder zusammenbrechen, nicht vor Maggie O‘Dell, die schon traumatische Erlebnisse überwunden hatte und offenbar alle Emotionen durch Stärke ersetzte. Genau das musste sie auch tun. Weinen half Timmy nicht weiter.
Sie wischte die Tränen fort, die ihr über die Wangen gerollt waren, und stand trotz ihrer Angst mit neuem Elan auf.
„Sagen Sie mir, womit ich helfen kann, Maggie.“ Ihre Stimme zitterte ein wenig.
59. KAPITEL
Donnerstag, 30. Oktober
Sonnenlicht fiel zwischen den verrotteten Brettern hindurch und weckte Timmy. Zunächst erinnerte er sich nicht, wo er war, dann roch er das Kerosin und die muffigen Wände. Die Metallkette rasselte, als er sich aufrichtete. Ihm tat alles weh, weil er zusammengerollt im Schlitten gelegen hatte. Er bekam erneut Angst, war aber entschlossen, sie zu überwinden. Er wollte nicht wieder zittern. „Denk an was Schönes“ , sagte er laut.
Im Sonnenlicht bemerkte er die Poster an den rissigen, abblätternden Wänden. Es waren dieselben wie bei ihm zu Hause: ein paar von den Nebraska Cornhuskers, eins von Batman und zwei von Krieg der Sterne. Er lauschte auf Verkehrslärm, hörte aber nichts. Nur der Wind pfiff durch die Ritzen und rüttelte am zerbrochenen Glas.
Wenn er doch nur das Fenster erreichen könnte. Er konnte die Bretter sicher herunterreißen. Das Fenster war klein, aber er würde sich durchzwängen und nach Hilfe rufen. Er versuchte, das Bett zu schieben, doch der schwere Metallrahmen bewegte sich nicht. Außerdem fühlte er sich schwach und schwindelig, weil er nicht gegessen hatte.
Er stopfte ein paar Fritten in den Mund. Sie waren kalt, aber salzig. In der Kiste fand er zwei Snickers, einen Beutel Cheetos und eine Orange. Ihm war ein wenig übel, trotzdem verschlang er die Orange, die Schokoriegel und begann mit den Cheetos, während er die Kette prüfte, die ihn mit dem Bettpfosten verband. Die Glieder waren aus Metall mit hauchdünnen Schlitzen. Leider war es unmöglich, die Schlitze aufzubiegen, um Kettenglieder auseinander zu haken. Er hatte nicht genügend Kraft und ärgerte sich mal wieder, wie klein und hilflos er war.
Er hörte Schritte vor der Tür. Hastig krabbelte er ins Bett und war unter der Decke, als das Schloss knarrte und die Tür quietschend aufging.
Der Mann trat langsam ein. Er war in eine dicke Skijacke eingewickelt, trug schwarze Gummistiefel und eine Strumpfmaske über der Gummimaske, was seinen ganzen Kopf verbarg.
„Guten Morgen“ , murmelte er. Er stellte eine braune Papiertüte ab, zog
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