Maggie O´Dell 01 - Das Boese
Herzklopfen verriet sie nicht. Der Wind wirbelte geisterhaft heulend um sie herum. Der Fluss war nah genug, dass sie das Rauschen des Wassers hörte und den Verwesungsgeruch wahrnahm.
Sie spähte hinter dem Baum hervor - und sah den Schatten nicht mehr. Er war verschwunden. Sie lauschte, hörte Stimmen, aber nur hinter sich. Vor ihr nichts als Stille und Dunkelheit außerhalb der Reichweite der Scheinwerfer.
Es waren nur Sekunden vergangen, er konnte nicht fort sein. Sie glitt um den Baum herum und spähte angestrengt in die Dunkelheit. Da war Bewegung. Beide Arme ausgestreckt, zielte sie mit der Waffe. Es war nur ein Ast, der im Wind schwang. Aber verbarg sich dahinter nicht etwas? Trotz der Kälte waren ihre Hände schweißnass. Sie ging langsam und vorsichtig und hielt sich nah an den Bäumen. Der Fluss reichte bis zur Baumreihe. Im Gehen bemerkte sie, dass auch Gestrüpp und hohes Gras zurückgewichen waren. Nichts trennte den Wald hier vom steilen Ufer, das vom Wasser gegraben zwei Meter hoch aufragte. Der reißende Fluss war schwarz mit unheimlichen Formen und Schatten auf den Wellenkämmen.
Plötzlich hörte sie einen Ast knacken. Jemand lief, Beine wischten durch das Gras, ehe sie ihn sah. Sie schwang nach rechts, wo die Äste knackten. Sie drehte sich und gab einen Warnschuss in die Luft ab, als er aus dem Dickicht brach, ein großer schwarzer Schatten, der sich auf sie stürzte. Sie zielte, doch ehe sie abdrücken konnte, warf er sie um. Sie fiel nach hinten, wirbelte durch die Luft und landete mit ihm im Wasser.
Die eisige Kälte stach wie mit tausend Nadeln auf ihren Körper ein. Sie hielt die Waffe fest und hob den Arm, um auf die schwimmende schwarze Masse in der Nähe zu schießen. Ein Schmerz schoss ihr durch die Schulter. Sie drehte sich und versuchte es erneut. Diesmal spürte sie Metall in ihr Fleisch eindringen. Erst da merkte sie, dass sie in einen Haufen Gerumpel gefallen war, der sie so fest hielt, dass sie nicht von der Strömung weggetragen wurde. Etwas riss an ihrer Schulter. Sie versuchte sich zu befreien, doch es stach nur tiefer und zerrte an ihrem Fleisch. Dann spürte sie Blut aus dem Ärmel auf Hand und Waffe tropfen.
Sie hörte Rufen über sich und laufende Schritte, die plötzlich zum Stehen kamen. Die Strahlen von einem halben Dutzend Taschenlampen erschienen oben am Ufer und blendeten sie. Im Schein der Lichter drehte sie sich wieder trotz der Schmerzen, um den treibenden Schatten zu entdecken. Doch da war nichts mehr, so weit sie sehen konnte.
Er war entwischt.
34. KAPITEL
Das eisige Wasser lähmte seinen Körper. Die Haut brannte, die Muskeln schmerzten, und seine Lungen drohten zu platzen. Er hielt den Atem an und ließ sich dicht unter der Wasseroberfläche treiben. Der Fluss trug ihn wild wogend dahin. Er wehrte sich nicht gegen seine Kraft und Schnelligkeit, sondern ließ sich als Teil von sich aufnehmen.
Sie waren nah. So nah, dass er die Lichtkegel der Taschenlampen auf dem Wasser tanzen sah. Zur Rechten, zur Linken und genau über seinem Kopf. Rufe erschallten, Stimmen voller Panik und Konfusion.
Niemand war hinter ihm hergetaucht. Niemand wagte sich in den schwarzen Fluss. Niemand außer Spezialagentin Maggie O‘Dell, die nicht loskam. Sie hatte sich nett in dem kleinen Geschenk verfangen, das er für sie gefunden hatte. Geschah ihr recht, wenn sie sich einbildete, ihn überrumpeln zu können, sich anzuschleichen und ihn in eine Falle zu locken. Das Luder hatte bekommen, was es verdiente.
Ein Lichtkegel fand sie, und die Suche am Ufer hörte auf. Vorsichtig streckte er den Kopf über Wasser, um nach Luft zu schnappen. Die nasse Maske lag wie ein Spinnennetz an seinem Gesicht. Doch er wagte nicht, sie zu entfernen.
Der Fluss trug ihn weiter. Er sah Männer das Ufer hinabschlittern, alberne ausrutschende Schattengestalten, die im Licht tanzten. Er lächelte zufrieden. Es würde Spezialagentin O‘Dell nicht gefallen, erst gefangen und hilflos zu sein und nun auch noch gerettet werden zu müssen. Würde sie schockiert feststellen, wie viel er über sie wusste, diesen weiblichen Teufel, der sich einbildete, seine Nemesis zu sein? Glaubte sie wirklich, in seine Gedankengänge eindringen zu können, ohne dass er dasselbe bei ihr versuchte? Endlich hatte er einen ebenbürtigen Gegner gefunden, der ihn auf Trab hielt, anders als diese Kleinstadttölpel.
Etwas schwamm neben ihm, klein und schwarz. Er ekelte sich, bis er merkte, dass es nichts Lebendiges war, sondern
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