Maggie O´Dell 01 - Das Boese
und schufen unheimliche Schatten, Geister mit dürren, im Wind schwankenden Armen.
Maggie fühlte sich an eine ähnliche Nacht vor Jahren erinnert, als sie in den dunklen Wäldern von Vermont einen Killer gejagt hatten. Sie dachte flüchtig, dass ihre Erinnerung hauptsächlich mit Horrorgeschichten gefüllt war, wo andere Weihnachts- oder Familienfeiern speicherten.
In den letzten Stunden war die Temperatur gefallen. Die beißende Kälte drang wie kleine Nadeln durch ihr Wolljackett. Sie hatte nicht daran gedacht, einen Mantel einzupacken. Auch Nick Morrelli fröstelte in seiner Jeansjacke. Schneeflocken ließen sich auf ihren Wimpern, dem Haar und der Kleidung nieder und fügten der beißenden Kälte noch Feuchtigkeit hinzu. Damit nicht genug, mussten sie auch noch ein gutes Stück zu Fuß gehen. Da die Spuren am letzten Fundort vom vielen Herumrennen unbrauchbar geworden waren, kompensierte Nick Morrelli es diesmal damit, dass er seine Beamten das Gebiet zu großräumig absperren ließ und seine Leute wie Militärposten dort aufstellte.
Das Unterholz war dicht, als wateten sie durch knietiefes Wasser. Der Matsch gefror allmählich und war mit einem knisternden Film überzogen. Zwischen den Bäumen hindurch wand sich ein schmaler Pfad. Nick ging voran und brach Aste und Zweige ab. Was seinem Zugriff entwischte, schlug Maggie ins Gesicht. Doch irgendwann spürte sie das Pieksen nicht mehr, da ihre Haut taub wurde.
Baumwurzeln ragten aus der Erde und brachten sie ein Mal zum Straucheln. Der letzte Abstieg zum Flussufer war steil, so dass sie sich an Ästen, Baumwurzeln und Rankpflanzen festhalten mussten. Es war genügend Schnee gefallen, um das unebene Gelände mit einer glatten Decke zu überziehen. Nick glitt aus, verlor das Gleichgewicht und landete hart auf dem Hinterteil. Er rappelte sich hoch, mehr verlegen als verletzt, und winkte ihre helfende Hand fort.
Der Pfad endete am Flussufer, wo hohes Gras Gehölz vom Wasser trennte. Hai kam ihnen entgegen. Maggie bemerkte, dass seine gewöhnlich rosige Haut kränklich weiß geworden war. Seine Augen waren wässerig, die Haltung wirkte deprimiert. Sie hatte oft erlebt, wie die Ermordung eines Kindes Männer zu sprachlosen Hüllen machte. Er ging ihnen voran, während Nick ihn mit Fragen bombardierte und als Antwort nur ein Nicken erhielt.
„Bob Weston schickt ein forensisches Team vom FBI, das Beweismittel sammelt. Sonst kommt niemand durch die Absperrung. Niemand! Hast du das verstanden, Hai?“
Hai blieb plötzlich stehen und wies nach vorn. Zuerst sah Maggie nichts. Bis auf zwei Dutzend im Gehölz verteilte Beamte war es friedlich und still. Das Pfeifen eines Zuges in der Ferne durchschnitt die Nacht. Schneeflocken tanzten wie Motten im grellen Licht der großen Scheinwerfer. Dann sah sie den kleinen weißen Körper mit einer Halskette aus Blut im schneebedeckten Gras. Seine Brust war sehr schmal, und ein zackiges X war vom Hals bis zur Taille eingeschnitten. Seine Arme lagen an den Seiten, die Hände waren geballt. Eine Fesselung war nicht nötig gewesen, der Junge war viel zu klein, um für den Täter eine Bedrohung zu sein.
Sie ließ die Männer stehen und näherte sich langsam und ehrfürchtig. Ja, der Körper war sauber gewaschen. Sie kniete sich neben ihn und wischte ihm sorgfältig den Schnee von der Stirn. Ohne sich vorzubeugen, sah sie Flecken einer öligen Substanz auf den blauen Lippen und zwischen dem X in Höhe seines Herzens.
Er wirkte so zart, so schutzlos. Sie wollte ihn bedecken und vor dem Schnee schützen, der auf seiner grauen Haut glitzerte und die hässlichen blutroten Schnitte und klaffenden Wunden bedeckte.
Er lag schon eine Weile hier draußen. Auch die plötzliche Kälte konnte den Geruch nicht überdecken. Sie bemerkte kleine punktuelle Wunden an der Innenseite seines linken Schenkels. Sie waren tief, ohne zu bluten. Offenbar waren sie dem Jungen nach dem Tod zugefügt worden. Vielleicht ein Tier, dachte sie und zog eine kleine Taschenlampe heraus. Die Abdrücke stammten eindeutig von Zähnen, aber von menschlichen Zähnen, wie sie jetzt erkannte. Sie überlappten sich, als hätte jemand im Wahnsinn mehrfach zugebissen oder auch ganz bewusst, um die Abdrücke zu verwischen. Sie waren nah an den Hoden, am Penis konnte sie jedoch keine Verletzungen feststellen.
Das war neu. Der Täter fügte seiner Vorgehensweise eine Variante hinzu. Er wurde sorglos und schlug in kürzeren Abständen zu. Er hatte den Jungen erst vor zwei Tagen
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