Maggie O´Dell 01 - Das Boese
in die Küche zurück, solange er sich noch problemlos bewegen konnte.
36. KAPITEL
Das Foto, das Maggie aus der Jackentasche geholt hatte, war verknittert und wellig, und die Ecken bogen sich beim Trocknen auf. Fussel aus der Jackentasche klebten auf der schimmernden Oberfläche. Sie schuldete Timmy Ersatz, wusste allerdings nicht, wie sie ihn beschaffen sollte. Wenigstens war das Foto nicht im dunklen Wasser verschwunden wie ihr Handy. Es schien ihr Schicksal zu sein, Dinge in Flüssen zu verlieren.
Nick brauchte lange in der Küche, und sie fragte sich, ob er ihr nun doch ein Sandwich machte. Seine letzte Bemerkung hatte Gefühle bei ihr ausgelöst, die man nur mit den gern zitierten Schmetterlingen im Bauch beschreiben konnte. Bisher war er der perfekte Gentleman gewesen. Sie machte sich keine Sorgen, dass er aufdringlich werden könnte, obwohl sie mit nichts als einem Bademantel bekleidet vor seinem Kamin saß und sich an Kissen lehnte, denen ein Hauch seines After Shave anhaftete.
Während er ihre Wunden verarztet hatte, war sie fast dankbar gewesen für die Schmerzen. So hatte sie seine Berührungen wenigstens nicht zu sehr genossen. Als er die Behandlung mit einem Streicheln über Schulter und Arm beendete, hatte sie zur eigenen Verblüffung darauf gewartet, dass er mit Zärtlichkeiten fortfuhr, und sich insgeheim vorgestellt, wie er mit der Hand über die Schulter hinab zu den Brüsten fuhr.
Als Nick zurückkehrte, befühlte sie ihre heißen Wangen, deren Wärme sie jedoch dem Kaminfeuer zuschrieb. Das allerdings nicht für ihr Herzklopfen verantwortlich sein konnte. Sie gab sich gelassen und vermied es, Nick anzusehen.
Er reichte ihr ein Glas Brandy und setzte sich neben sie. Als er die langen Beine unterschlug, beugte er sich so weit zu ihr hinüber, dass sich ihre Schultern berührten.
„Das ist also das Foto, von dem Sie mir erzählt haben.“ Er wies darauf, zog eine handgearbeitete Quiltdecke vom Sofa und legte sie ihnen über die Beine. Das geschah mit einer Selbstverständlichkeit, als sei es nur natürlich, dass sie sich zusammen unter die Decke kuschelten. Eine erregend intime Geste.
„Die Heizung arbeitet nicht richtig“ , erklärte Nick. „Ich hätte sie längst überprüfen lassen sollen. Aber ich habe nicht erwartet, dass es im Oktober schon so kalt wird.“
Sie gab ihm das Foto. Beide Hände um das bauchige Brandyglas gelegt, schwenkte sie die braune Flüssigkeit, sog das kräftige, süßliche Aroma ein und nahm einen Schluck. Sie schloss die Augen, legte den Kopf gegen das Kissen und ließ die brennende Flüssigkeit genüsslich die Kehle hinabrinnen. Noch ein paar Schluck, und sie war die innere Unruhe los. In solchen Momenten verstand sie, warum ihre Mutter Zuflucht im Alkohol suchte. Das Teufelszeug löste Spannungen und vertrieb unerwünschte Gefühle. Kummer gab es nicht, solange man zu benebelt war, ihn zu erkennen.
„Ich stimme Ihnen zu“ , unterbrach Nick ihr angenehmes Abgleiten in die Betäubung, „der Zufall ist zu groß. Aber ich kann Ray Howard nicht einfach zum Verhör vorladen, oder?“
Sie setzte sich verblüfft auf. „Nicht Howard, Pater Keller!“
„Was? Sind Sie verrückt? Einen Priester kann ich noch viel weniger vorladen. Sie können doch nicht im Ernst annehmen, dass ein katholischer Priester kleine Jungen umbringt.“
„Er passt ins Profil. Ich muss mehr über seine Vergangenheit herausfinden. Und ja, ich traue auch einem Priester Verbrechen zu.“
„Ich nicht. Das ist verrückt.“ Er wich ihrem Blick aus und trank seinen Brandy. „Die Gemeinde hängt mich am Fensterkreuz auf, wenn ich den Priester zum Verhör hole. Besonders Pater Keller. Der ist doch wie Superman im Priestergewand. Mein Gott, O‘Dell, da sind Sie völlig auf dem Holzweg.“
„Hören Sie mir nur eine Minute zu. Sie haben selbst gesagt, es sah so aus, als hätte Danny Alverez sich nicht gewehrt. Pater Keller war ihm bekannt und vertraut. Pater Francis sagte uns, seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sei es unwahrscheinlich, dass ein Laie die Riten der Letzten Ölung beherrsche. Alle, die jünger sind als fünfunddreißig, müssen demnach eine Unterweisung erhalten haben, um sie zu kennen.“
„Aber der Pater ist für die Kinder ein Held. Wie könnte er so etwas tun und nicht auffallen?“
„Wer Ted Bundy kannte, hat auch nichts geahnt. Ich habe das abgerissene Stück einer Baseballkarte in Matthews Hand gefunden. Timmy hat mir gestern Abend erzählt, dass Pater Keller
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