Maggie O´Dell 02 - Das Grauen
dem Bauch heraus, gehandelt.“
„Maggie, wir müssen daran denken, den Abfluss aus dem Whirlpool zu nehmen“, unterbrach Ganza sie, ohne aufzublicken. „Ich wette, da hat er sie aufgeschnitten. Wir finden vielleicht Gewebereste.“
Tullys Gesicht wurde bleicher, und sie hatte ihn zusammenzucken sehen.
„Etwas haben wir gestern Abend nicht überprüft, Agent Tully. Die Abfallbehälter draußen“, sagte sie und bot ihm eine Möglichkeit, an die frische Luft zu gehen. „Da das Haus zum Verkauf steht und leer ist, haben die Müllmänner die Tonnen vielleicht nicht geleert.“
Er nahm die Möglichkeit zur Flucht gerne wahr. „Ich prüfe das.“
Als er ging, fiel Maggie jedoch ein, dass er im Abfall etwas nicht minder Schockierendes entdecken konnte. Vielleicht rettete sie ihn gar nicht. Sie zog ein frisches Paar Latexhandschuhe aus dem forensischen Beutel und warf die mit Luminol kontaminierten fort. Keith holte Schraubenzieher und einige Beweisbeutel.
„Sie sind sehr nett zu dem Neuen“, bemerkte er.
Sie streifte ihn mit einem Blick. Obwohl er konzentriert auf das zu schauen schien, was er aus seinem Koffer holte, waren seine Mundwinkel lächelnd hochgezogen.
„Ich kann nett sein. Es ist ja nicht so, als wäre mir das unmöglich.“
„Das habe ich auch nicht behauptet.“ Er holte Q-Tips heraus, mehrere Bürsten, Pinzette und kleine braune Flaschen und reihte alles wie zur Inventur auf. „Keine Sorge, Maggie, ich sag’s nicht weiter. Ich will ja nicht Ihren Ruf ruinieren.“ Diesmal richtete er die hellblauen Augen unter schweren Lidern direkt auf sie. Augen, die in den letzten dreißig Jahren mehr Entsetzliches gesehen hatten, als es einem Menschen zugemutet werden sollte. Doch jetzt funkelten sie belustigt.
„Keith, was wissen Sie über Agent Tully?“
„Ich habe nur Gutes über ihn gehört.“
„Natürlich nur Gutes. Er sieht aus wie eine Kreuzung aus Mr. Rogers und Fox Mulder.“
„Fox Mulder?“ Er zog fragend die Brauen hoch.
„Sie wissen schon, der Agent aus Akte X.“
„Ich weiß, wer das ist. Es erstaunt mich nur, dass Sie ihn kennen.“
Sie merkte, dass sie leicht errötete, als hätte er ihr ein Geheimnis entlockt.
„Ich habe mir ein paar Folgen angesehen. Was haben Sie gehört? Über Tully, meine ich?“ kehrte sie rasch zum Thema zurück.
„Er ist aus Cleveland hergekommen, auf Cunninghams Bitte. Also muss er gut sein, richtig? Einige behaupten, er sieht sich Tatortfotos an und erstellt ein Täterprofil, das in neun von zehn Fällen stimmt.“
„Fotos? Deshalb reagiert er am Tatort so empfindlich.“
„Ich glaube, er ist noch nicht lange beim FBI, fünf, sechs Jahre. Ist wahrscheinlich gerade noch vor der Altersgrenze reingeschlüpft.“
„Was hat er vorher gemacht? Sagen Sie bloß nicht, er war Anwalt.“
„Stimmt etwas nicht mit Anwälten?“ fragte Agent Tully von der Tür.
Maggie sah ihm in die Augen, um zu prüfen, ob er sauer war. Keith wandte sich wieder seiner Aufgabe zu und überließ Erklärungen ihr.
„Ich war nur neugierig“, sagte sie, ohne sich zu entschuldigen.
„Sie hätten mich einfach fragen können.“
Ja, er war sauer, tat aber, als wäre er es nicht. Hielt er seine Emotionen immer so unter Kontrolle?
„Okay. Also, was haben Sie gemacht, ehe Sie zum FBI kamen?“
In einer mit Latexhandschuhen geschützten Hand hielt er einen schwarzen Plastiksack. „Ich war Ermittler für Versicherungsbetrug.“ In der anderen einen Packen Einwickelpapier von Schokoriegeln. „Und ich würde sagen, unser Knabe hat einen entsetzlich süßen Zahn.“
42. KAPITEL
Maggie griff den Revolver und zielte auf die dunkle Gestalt vor ihr. Ihre rechte Hand zitterte. Sie spürte, wie sie die Kiefer zusammenpresste und die Muskeln verspannte.
„Verdammt!“ schimpfte sie, da sie auf dem leeren Schießstand allein war. Sie war hergekommen, nachdem Agent Ballato seinen Schießunterricht beendet hatte, weil sie wusste, dass sie den Schießstand so spät an einem Freitag für sich haben würde.
Sie lockerte ihre Haltung, ließ die Arme sinken, rollte die Schultern und streckte den Hals. Warum nur konnte sie sich nicht richtig entspannen? Warum hatte sie das Gefühl, jeden Moment explodieren zu müssen?
Sie schob die Schutzbrille auf den Kopf und lehnte sich gegen die halbhohe Wand der Kabine. Nachdem sie mit Agent Tully das Haus am Archer Drive verlassen hatte, hatte sie Detective Ford in Kansas City angerufen. Er lieferte ihr einen detaillierten Bericht der
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