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Maggie O´Dell 02 - Das Grauen

Maggie O´Dell 02 - Das Grauen

Titel: Maggie O´Dell 02 - Das Grauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Kava
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löste ihr Problem nicht. Sie konnte Stucky auch nirgendwo hinlocken. Es sei denn, er wartete bereits auf sie. Sie beschloss, das Risiko einzugehen, und kehrte heim.

63. KAPITEL
    Tess rannte mit schmerzhaft pochendem Knöchel. Ihre Füße taten weh und bluteten bereits, obwohl sie sie mit den abgerissenen Ärmeln ihrer Bluse umwickelt hatte. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie lief. Der Himmel hatte sich wieder grau bezogen und würde jeden Moment die Schleusen öffnen. Zweimal war sie bereits zu einem Steilhang gekommen, unter dem Wasser glitzerte. Wenn sie doch nur schwimmen gelernt hätte. Sie würde es durchs Wasserversuchen, gleichgültig, wie weit das andere Ufer entfernt war. Warum konnte sie diesem Gefängnis aus Bäumen, Rankpflanzen und steilen Schluchten nicht entkommen?
    Den Morgen über hatte sie wilde Erdbeeren gesucht und gegessen. Zumindest hielt sie die Früchte für Erdbeeren. An einem Flussufer hatte sie trübes Wasser getrunken, ungeachtet der darin schwimmenden Algen. Ihr Spiegelbild im Wasser hatte sie erschreckt. Das wirre Haar, die zerrissene Kleidung, die Kratzer und Schnitte ließen sie wie eine Verrückte aussehen. Aber war sie das nicht schon? Die Erinnerung an Rachel machte sie wahnsinnig und schien sie innerlich zu zerreißen. Sie wusste nicht, wie lange sie in der Ecke der Grube gekauert hatte, weinend, sich vor und zurück wiegend, die Stirn an die Erdwand gepresst. Gelegentlich hatte sie sich in eine andere Dimension schlüpfen spüren und ihre Tante von oben herunterrufen hören. Sie hätte geschworen, das hagere, finstere Gesicht der Frau dort oben zu sehen, die ihr mit einem knochigen Finger drohte und sie verfluchte. Sie wusste nicht, wie viele Nächte sie in der Grube verbracht hatte, eine, zwei oder drei. Die Zeit hatte jede Bedeutung verloren.
    Sie wusste allerdings noch, was sie aus ihrer Lethargie gerissen hatte. Ein Lebewesen. Etwas oder jemand hatte am Rande des Erdlochs geraschelt. Sie hatte erwartet, beim Aufblicken ihren Entführer zu entdecken, wie er sich raubtierartig auf sie zu stürzen versuchte. Es wäre ihr gleichgültig gewesen, dann hätte das Elend ein Ende gehabt. Doch weder der Verrückte noch ein Raubtier sahen auf sie hinab, sondern ein junges Reh. Sie hatte sich gefragt, wie etwas so Schönes und Unschuldiges auf dieser Teufelsinsel existieren konnte.
    Dann hatte sie sich zusammengerissen und beschlossen, nicht zu sterben, nicht hier, nicht in diesem Höllenloch. Sie hatte ihre zeitweilige Gefährtin so gut es ging mit Pinienzweigen abgedeckt,und die weichen Nadeln hatten wie eine Decke auf der geschundenen grauen Haut gelegen. Danach war sie ins Freie gekrochen, ohne dabei Erleichterung zu empfinden. Ironischerweise war die Grube auch eine sichere Zuflucht gewesen. Jetzt, nachdem sie Meilen gegangen und gelaufen war, fühlte sie sich unsicherer als zuvor.
    Plötzlich sah sie vor sich zwischen den Bäumen auf einem Kamm etwas Weißes schimmern. Sie kletterte mit neuer Energie und zog sich an Baumwurzeln hoch, obwohl sie die Schnitte in ihren Händen deutlich merkte. Keuchend erreichte sie ebenen Boden und hatte einen besseren Überblick. Hinter hohen Pinien lag da ein großes weißes Farmhaus aus Fachwerk.
    Ihr Herz schlug freudig. Sie blinzelte und hoffte, das schöne Bild verschwand nicht. Erleichtert sah sie eine kleine Rauchfahne aus dem Schornstein aufsteigen und roch sogar das Holz im Kamin. Sie hörte ein Windspiel und sah es auf der Veranda hängen. Ringsum standen Tulpen und Narzissen in voller Blüte. Sie kam sich vor wie Rotkäppchen nach dem Weg durch den finsteren Wald vor dem großen einladenden Haus der Großmutter. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass die Analogie größer sein konnte, als ihr lieb war. Alarmiert fuhr sie herum, um wieder wegzurennen, und prallte mit ihm zusammen. Er packte ihre Handgelenke und lächelte, indem er die Zähne bleckte wie ein Wolf.
    „Ich habe dich gesucht, Tess“, sagte er ruhig, während sie sich ihm zu entwinden versuchte. „Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe.“

64. KAPITEL
    Washington, D.C.,
Montag, 6. April
    Maggie konnte nicht glauben, dass Cunningham darauf bestanden hatte, sie sollte ihren Termin bei Dr. Kernan am Montagmorgen einhalten. Schlimm genug, dass sie auf eine Art inoffizielle Erlaubnis von den Behörden in Maryland warteten. Wie konnten die sicher sein, dass Stucky nichts merkte? Falls irgendwo durchsickerte, dass sie Informationen sammelten, brauchten sie sich wegen einer

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