Maggie O´Dell 02 - Das Grauen
mehrere Stapel auf dem Schreibtisch durch. „Der Fall aus Kansas City ist auch hier. Die haben uns die Unterlagen zugefaxt.“
Maggie widerstand dem Drang, ihm zu helfen. Sie hätte sich am liebsten alle Stapel geschnappt und für ihn geordnet. Wie, zum Kuckuck, bekam dieser Typ überhaupt etwas geregelt?
„Hier ist die Akte über das Liefermädchen.“
Er reichte ihr einen überquellenden Ordner, aus dem an allen Ecken Papiere und Fotos heraushingen. Maggie öffnete ihn und richtete und ordnete sofort den Inhalt, ehe sie einen Blick darauf warf. „Ist es okay, wenn wir sie beim Namen nennen?“
„Wie bitte?“ Agent Tully suchte immer noch auf seinem übersäten Schreibtisch. Schließlich fand er seine Metallrahmenbrille, setzte sie auf und sah Maggie an.
„Das Mädchen vom Pizzadienst. Ist es in Ordnung, wenn wir sie bei ihrem Namen nennen?“
„Natürlich“, erwiderte er, schnappte sich einen zweiten Ordner und blätterte ihn durch.
Er war ein wenig verlegen, weil er den Namen des Mädchens erst nachlesen musste. Diese Unkenntnis war kein Mangel an Respekt, vielmehr eine Methode, sich vom Geschehen zu distanzieren. Profiler nannten die Leiche häufig nur „das Opfer“ oder „Jane Doe“, da ihr erster Kontakt oft genug darin bestand, dass sie eine blutige Fleischmasse vorfanden, die kaum noch Ähnlichkeit mit der lebenden Person hatte.
Vor einiger Zeit hatte sie sich noch genauso verhalten und war in allgemeine Beschreibungen geflüchtet, um sich zu distanzieren. Doch dann hatte sie vor einigen Monaten einen kleinen Jungen namens Timmy Hamilton kennen gelernt, der ihr sein Zimmer und seine Sammlung an Baseballkarten gezeigt hatte, ehe er entführt wurde. Und auch jetzt schien es ihr plötzlich wichtig, den Namen des Mädchens zu kennen, dieser hübschen blonden jungen Frau, die ihr vor einer Woche noch so fröhlich die Pizza geliefert hatte und sterben musste, weil sie Kontakt zu ihr gehabt hatte.
„Jessica“, stieß Agent Tully geradezu hervor. „Sie hieß Jessica Beckwith.“
Maggie merkte, dass sie den Namen ebenso schnell hätte herausfinden können. Zuoberst lag der Bericht des Gerichtsmediziners, und das Mädchen war zu dem Zeitpunkt bereits identifiziert gewesen. Sie versuchte nicht an die Eltern zu denken. Etwas Distanz war nötig.
„Gab es Spuren am Tatort, die eine DNS-Analyse möglich machen?“
„Nichts Substanzielles. Ein paar Fingerabdrücke, aber sie stammen nicht von Stucky. Eigenartig, alles war abgewischt, bis auf diesen Satz Abdrücke ... ein Zeigefinger und ein Daumen. Wir können nicht ausschließen, dass sie einem Neuling im Polizeidienst gehören, der entgegen den Bestimmungen etwas angefasst hat und sich jetzt scheut, es zuzugeben. AFIS hat bis jetzt noch nichts gebracht.“
Er setzte sich auf die Schreibtischkante, legte den geöffneten Ordner auf einen Stapel, so dass er die Hände frei hatte, um wieder Büroklammern ineinander zu schieben.
„Die Tatwaffe wurde nicht gefunden. Ist das richtig?“
„Korrekt. Scheint sehr dünn und rasiermesserscharf zu sein, mit einer Schneide. Vielleicht ein Skalpell, so leicht wie er das Fleisch hackt und würfelt.“
Maggie zuckte bei dieser Wortwahl zusammen, und er merkte es.
„Tut mir Leid. Ist mir gerade so eingefallen.“
„Irgendwelcher Speichel am Körper? Sperma im Mund?“
„Nein. Ich weiß, das unterscheidet sich von Stuckys üblicher Vorgehensweise.“
„Falls es Stucky war.“
Sie spürte, dass er sie beobachtete, wich jedoch seinem Blick aus und studierte den Autopsiebericht. Warum sollte Stucky sichzurückhalten oder sich rechtzeitig zurückziehen? Er würde sich zweifellos nicht die Mühe machen, ein Kondom zu benutzen. Seit sie ihn als Albert Stucky identifiziert hatten, hatte er unverfroren gemacht, was er wollte. Das bedeutete auch, mit seiner sexuellen Potenz zu protzen, indem er die Opfer mehrfach vergewaltigte und sie oft auch noch zu oralem Sex zwang.
Sie hätte sich gern den Leichnam der jungen Frau angesehen. Sie wusste, nach welchen unbedeutend erscheinenden Details sie suchen musste, um Stucky zu überführen. Leider sah sie am Ende des Berichtes, dass Jessicas Leichnam bereits ihrer Familie übergeben worden war. Selbst wenn sie die Überführung noch stoppen könnte, wären alle Beweisspuren am Körper beseitigt, abgewaschen von einem wohlmeinenden Bestattungsunternehmer.
„Wir haben im Abfallcontainer ein gestohlenes Handy gefunden“, sagte Agent Tully.
„Aber es war sauber
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