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Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt

Titel: Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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wehtut,
und die Botschaft unter die Leute bringen, die das noch nicht kennen, eine Sache,
die sich nicht vergrößert, Charlie, die ist ja praktisch am Ende, das kannst du
bei Canetti alles nachlesen, jedenfalls bei der offenen Masse, bei der offenen
Masse ist das so, die wächst, weil sie wächst, und wenn sie nicht mehr wächst,
zerfällt sie, und Rave ist eine offene Masse, das hat neulich Frido in
Frankfurt auch gesagt, der hatte das auch gelesen, und die muss immer weiter
wachsen, wie beim Pilotenspiel, jedenfalls ist das ein Versuchsballon, Charlie,
wir bringen den Rave nach Schrankenhusen-Borstel, das ist ja als Überschrift
schon genial, man könnte auch sagen: Wir reißen in Schrankenhusen-Borstel die
Schranken ein, das ist doch voll der Hammer!«
    »Da wohnen
wir in dem Club, also die haben da auch so Zimmer«, sagte Dave.
    »Und wenn
wir Glück haben, taufen sie den Laden danach um, in Kratzbomber!«, sagte
Ferdi.
    »Also der
Reihe nach«, sagte ich. »Wir fangen in Bremen an, wann fahren wir denn da
los?«
    »Ankunft
zwanzig Uhr, also dann fahren wir wohl so um vierzehn Uhr los«, sagte Dave.
    »Quatsch,
das ist doch Quatsch«, sagte Ferdi, »nach Bremen brauchst du doch keine sechs
Stunden, nach Bremen brauch ich höchstens vier Stunden, eher weniger.«
    »Aber du
fährst nicht«, sagte Dave. »Und ich auch nicht.«
    »Fünfzehn
Uhr reicht doch dicke!«, sagte Ferdi. »Zu früh ist auch schlechtes Timing, zu
früh ist die peinlichste Form der Unpünktlichkeit!«
    »Aber wir
wollen doch sowieso erst einchecken …«
    »Quatsch
jetzt.« Ferdi wischte das mit einer Handbewegung weg, und zwar mit der, mit
der er Dave seinen Joint reichte. »Hier, zieh erstmal, Dave, sonst halt ich
dich nicht aus.«
    Dave nahm
den Joint und zog dran. Um uns herum kam Unruhe auf, die Leute erhoben sich von
den Schreibtischen und versammelten sich weiter hinten um ein Faxgerät herum.
    »Lass uns
Schluss machen«, sagte Ferdi, »die Charts kommen. Du kannst das ja morgen früh
noch ausdrucken, Dave. Wenn wir um drei Uhr nachmittags losfahren, dann
kannst du ja morgen früh noch dran arbeiten.«
    »Ich kann
auch morgen Vormittag kommen«, sagte ich.
    »Nicht
nötig«, sagte Dave und sah dabei zu den anderen hinüber. »Ich mach das einfach
fertig und dann übergebe ich dir das und gut ist. Dann geht mich das nichts
mehr an!«
    Ferdi stand
auf. »Charlie kommt morgen Vormittag und schaut sich an, was du für ihn gemacht
hast, Dave, so sieht’s aus. Jetzt aber die Charts gucken.«

20. Bing
    Ferdi stand auf und zog mich mit, ich
wäre lieber sitzengeblieben und hätte mir das von Weitem angeschaut, die
vielen Leute machten mich nervös, ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zum
letzten Mal außerhalb der Hamburger S-Bahn mit so vielen Leuten in einem Raum
gewesen war, aber Ferdi zog mich ohne Gnade mit und warf sich ins Gewühl, da
riss ich mich dann von ihm los, das war nichts für mich, hier mitten unter die
Leute zu gehen, die jetzt Sachen wie »Was ist mit TXF« oder »Sind wir noch
drin« riefen, während ich am Rand des sinnlosen Geschehens oder jedenfalls
sinnlos am Rand des Geschehens stand wie ein Voyeur, während Ferdi sich zum
Zentrum des Geschehens durchkämpfte, und dann schien mir dieses Am-Rand-Stehen
ein Vorgeschmack auf das zu sein, was mich bei der Magical-Mystery-Tour
erwartete, nämlich dabei zu sein ohne drin zu sein, mitzuhelfen ohne
mitzumachen, was mich jetzt wieder an Schlumheimer erinnerte, dabeisein ohne
drinsein, das war der Titel der ersten Schlumheimer-Installation gewesen,
die ich je gesehen hatte, das war Ende der Siebziger gewesen, in der »Zone« in
Westberlin, damals hatte er seinen Installationskram noch wahllos irgendwo
ausgestellt, Hauptsache es gab Platz dafür und er konnte einigermaßen sicher
sein, dass das, was er sich installationsmäßig so zusammenschusterte, für ein
paar Wochen unbehelligt herumstehen würde, das alte Quatschgenie, mit den Bildern
hatte er damals schon verdient, aber die Installationen, die Schlumheimer für
mich immer gottgleich und unerreichbar gemacht hatten, standen noch einfach irgendwo
herum und so auch diese, dabeisein ohne drinsein, das war schon toll
gewesen, ein richtiges Aha-Erlebnis, Schlumheimers Installationen waren, wenn
man selber Kunst machen wollte, das Ermutigendste und Inspirierendste, was es
gab, sie waren einfach da wie gerade gelandete Aliens, die sich erst noch ein
bisschen von der Reise ausruhen mussten, und man sah sie an und dachte,

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