Magical Mystery
Altonaer Museum für Kunst und Kulturgeschichte gehen und sich da ansehen, wie andere Typen vor und während und nach einem frisch, fromm, fröhlich, frei damit weitergemacht hatten, so ging das nicht, ich hatte Angst vor was weiß ich was, dass ich da neidisch wurde vielleicht, nein, nicht neidisch, auch nicht einfach nur traurig, schlimmer als das, es war auch nicht bloß das Wiedererkennen der ganzen Niederlage, es war mehr als das, es war wie wenn Astrid in den Bahnhof Altona ging, ich hatte Angst davor, rückfällig zu werden, und da konnte Werner tausendmal sagen, dass die Kunst ja nun wohl nicht schuld sein konnte, dass ich da ja wohl ganz klar die Verantwortung abwälzen wollte, das war zu einfach, Werner verstand das nicht, und ich, wenn ich ehrlich war, verstand das irgendwie auch nicht, aber ich hatte mich immer dagegen gewehrt, von Werner in sowas reingezogen zu werden und mir auf sein Betreiben im Altonaer Museum den Kram von anderen anzugucken, in der Kunstsache konnte Werner nicht mitreden, da war er nun wirklich nicht kompetent, und gottseidank hatte ich irgendwann die Idee gehabt, Werner an eine seiner Regeln zu erinnern, die lautete: »Wenn du kein gutes Gefühl bei etwas hast, dann lass es lieber!«, da hatte er dann damit aufgehört, und jetzt also die Bremer Kunsthalle, ich war ausgerechnet unter dem Vordach der Bremer Kunsthalle gelandet und hatte zwei Stunden Zeit totzuschlagen und irgendwie war’s mir dann auch egal, vielleicht haben sie ja auch etwas, wo man einen Kaffee kriegt, dachte ich und ging rein und kaufte mir eine Karte für ihre aktuelle Ausstellung, die hieß irgendwas mit Worpswede und noch was und dann ging ich da durch und bremste mich dabei regelrecht aus, zwang mich gewaltsam, das Tempo rauszunehmen und die Bilder zu betrachten, und ich betrachtete und betrachtete und siehe, da ging nichts, das sagte mir alles gar nichts, das war erleichternd und enttäuschend zugleich, so wie wenn man nach längerer Zeit wieder mit dem Rauchen anfängt und dann merkt, dass es nicht ganz das große Ding ist, als das es einem in der Zeit, in der man damit aufgehört hatte, erschienen war, und ich wollte es nicht glauben, war ich denn wirklich schon so sehr abgestumpft? Waren das die Spätfolgen der Tabletten? War ich wirklich so ein flacher Hausmeisterstiesel geworden, dass ich an diesen ganzen Bildern von Bäuerinnen und Moortümpeln und krummen Birken an geraden Wegen oder was immer sie da alles gemalt hatten, vorbeigehen und völlig abgestumpft und leer an nichts anderes als ans Zeittotschlagen und wo man einen Kaffee herbekam denken konnte? War ich wirklich ein Drogenwrack? Hatte ich mir im guten alten Hirn ein paar Synapsen zuviel weggeschmurgelt? Sicher, es war Ölmalerei, nicht gerade mein Ding, sie hatten auch ein paar Skulpturen dazugestellt, aber die waren wirklich doof, das sah man gleich, da musste ich mir nichts vorwerfen, das war höchstens Kunsthandwerk, das Zeug, wie sie es in den fünfziger Jahren vor jeder Grundschule aufgestellt hatten, aber dass auch alles andere, aber auch wirklich alles andere auch so egal war, das irritierte mich dann doch, das war hier doch das Kunstding, es konnte doch unmöglich sein, dass ich das wirklich alles, alles schlecht fand! Ich setzte mich auf eine Bank in der Mitte des Raumes, in dem ich gerade war, und glotzte grübelnd auf das Bild gegenüber, das einen kleinen Jungen zeigte, der einen Apfel in der Hand hielt, und alles irgendwie schief und grob gemalt, ich weiß nicht, von wem, ich war zu müde, um aufzustehen und auf dem kleinen Schild daneben nachzugucken, jedenfalls schaute ich den kleinen Jungen an und der kleine Junge schaute auf seinen Apfel, und dann schaute ich auch auf den Apfel und dann wieder auf den Jungen und das ging ziemlich lange so. Und je länger ich da saß und auf das Bild und den Jungen und den Apfel schaute, während der Junge immer weiter auf den Apfel schaute, desto mehr mochte ich den Jungen, er hatte es nicht leicht, das konnte man sehen, er war wohl ein Bauernjunge und barfuß und 19. Jahrhundert und was weiß ich nicht alles, die Stube, in der er stand, war eine von armen Leuten aus dem 19. Jahrhundert, wie ich sie aus dem Museumsdorf Detmold kannte, da war ich als kleiner Junge mal gewesen, mit meinen Eltern, und ich hatte ungefähr das Alter von dem Jungen gehabt, und dieser Junge schaute also den Apfel an und fand den Apfel offensichtlich gut und stand da und blieb da und wenn er ein reales Vorbild gehabt
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