Magie der Sehnsucht - Roman
haben die Soldaten in der Antike nicht lesen und schreiben gelernt.«
»Doch«, erwiderte er leicht verärgert und strich über sein Kinn. »Ich wurde in Griechisch, Latein, Sanskrit, den ägyptischen Hieroglyphen und anderen mittlerweile toten Sprachen unterrichtet. Für mich ist diese Speisekarte ebenso unverständlich wie ein altgriechischer Text für dich.«
»Alles klar.«
Selena blickte von ihrer Speisekarte auf und rang nach Atem. »Ist es das, was ich glaube?«, flüsterte sie und ergriff Julians Hand und starrte seinen Ring an. »Hast du das gesehen, Gracie?«
»Bis jetzt noch nicht.« Grace beugte sich vor. »Dazu kam ich gar nicht. Dauernd wurde ich abgelenkt …« Welch eine Untertreibung! Genauso gut könnte man behaupten, der Mount Everest sei ein Maulwurfshügel.
Trotz der schummrigen Beleuchtung des Lokals schimmerte das Gold wie Sonnenlicht. In den Ring war ein Schwert graviert, umgeben von Lorbeerblättern, mit Rubinen und Smaragden verziert.
»Wie schön«, wisperte Grace.
»Der Ring eines Generals, nicht wahr?«, fragte Selena. »Also waren Sie kein einfacher Soldat, sondern ein General. «
Grimmig nickte Julian. »Zumindest ist diese Bezeichnung das passende Äquivalent.«
Selena starrte ihn voller Ehrfurcht an. »Oh Gracie, du hast ja keine Ahnung. Da Julian diesen Ring trägt, muss er eine sehr bedeutende Persönlichkeit gewesen sein. So was hat man nicht jedem an den Finger gesteckt. Wirklich, ich bin tief beeindruckt.«
»Dafür besteht kein Grund«, erwiderte er.
Zum ersten Mal beneidete Grace ihre Freundin um den Doktor in Altertumskunde. Lanie wusste viel mehr über
Julian und seine Welt, als sie das selber jemals erhoffen durfte. »Ich wette, du warst ein großartiger General, Julian.«
Gerührt über den aufrichtigen Klang ihrer Stimme, lächelte er sie an. Das Kompliment erwärmte sein Herz, obwohl er nicht wusste, warum. »Nun, ich konnte mich halbwegs behaupten.«
»Sicher hast du triumphale Siege errungen.«
Seit Jahrhunderten hatte er nicht mehr an seine Erfolge auf dem Schlachtfeld gedacht. »Allerdings. Oft genug schlug ich die Römer in die Flucht.«
»Nachdem wir den Ring bewundert haben, dürfen wir auch Cupidos Bogen sehen?«
»Oh ja, Julian, zeig ihn uns«, drängte Grace.
Bereitwillig nahm er die Kette aus einer Tasche seiner Jeans und legte sie auf den Tisch. »Vorsicht!«, mahnte er, als Selena danach griff. »Der goldene Pfeil ist präpariert. Wenn Sie damit gestochen werden, verlieben Sie sich in die nächste Person, die Ihnen begegnet.«
Hastig zog sie ihre Hand zurück.
Mit der Hilfe ihrer Gabel bugsierte Grace den Bogen zu sich herüber. »Warum ist er so klein?«
Boshaft grinste er. »Die Größe spielt keine Rolle. Weißt du das nicht?«
»Darauf muss mich ein so kräftig gebauter Mann wie du nicht hinweisen«, konterte sie.
»Gracie!«, japste Selena. »So hast du noch nie geredet.«
»Oh, das war doch harmlos – verglichen mit eurem Geschwätz«, konterte Grace.
Belustigt strich er ihr das Haar aus dem Gesicht, und diesmal zuckte sie nicht zurück. Wie erfreulich – langsam machte er Fortschritte.
»Und auf welche Weise benutzt Cupido dieses Ding?«, fragte Grace neugierig.
Julian wickelte eine Strähne ihres seidigen Haars um einen Finger. Sogar in der schwachen Beleuchtung des Restaurants glänzte es verlockend. Er stellte sich vor, er würde es auf seiner nackten Brust ausbreiten. Und er wollte sein Gesicht in der weichen Fülle vergraben und sich davon liebkosen lassen. Wenn er die Augen schloss, würde er glauben, ihren Körper unter seinem zu spüren, ihr leises Stöhnen zu hören.
»Julian?«, riss sie ihn aus seinen Träumen. »Wie benutzt Eros seinen Bogen?«
»Entweder schrumpft er, bis er genauso klein ist, oder er vergrößert den Bogen, um sein Ziel zu erreichen.«
»Tatsächlich?« Selena schüttelte erstaunt den Kopf. »Das wusste ich nicht.«
In diesem Augenblick erschien die Kellnerin, zückte ihren Notizblock und verschlang Julian mit leuchtenden Augen, als wäre er die Spezialität des Hauses. Unauffällig nahm er die Kette vom Tisch und steckte sie wieder in die Tasche.
»Tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten, Sir«, entschuldigte sich die Kellnerin. »Hätte ich gewusst, dass Sie noch nicht bedient wurden, wäre ich schon früher zu Ihnen gekommen.«
Ärgerlich musterte Grace das Mädchen. Verdammt, warum musste Julian alle fünf Minuten von irgendwelchen Frauen angehimmelt werden? Gilt das auch
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