Magie und Schicksal - 2
Alice hier tut. Woher soll irgendjemand wissen, was Alice im Sinn hat? Haben wir das jemals gewusst?«
»Nein. Du hast recht«, sagt Sonia.
»Mit allem, was Alice tut, verfolgt sie ein Ziel«, sage ich. »Ich weiß bloß noch nicht, welches es dieses Mal ist.«
»Ich kann nicht glauben …«, beginnt Luisa, verstummt dann aber.
Im Dunkeln ungesehen, schüttele ich den Kopf und betrachte die nebligen Straßen und die schemenhaften Gestalten, die auf den Gehsteigen entlanglaufen. »Ich auch nicht.«
»Ich hätte Alice ja viel zugetraut – aber … James Douglas heiraten?« Luisa knirscht mit den Zähnen. »Wie kann sie nur? Wie kann er nur?«
»Ich habe ihn verlassen.« Meine Stimme ist nur ein Murmeln, und ich frage mich, ob ich überhaupt will, dass Sonia und Luisa mich verstehen. Ob ich will, dass sie die Wahrheit über mich und James erfahren. »Ich bin ohne ein Wort gegangen. Ich habe keinen seiner Briefe beantwortet. Er schuldet mir nichts.«
»Vielleicht nicht«, erwidert Sonia. »Aber von allen
Mädchen in New York, wie kann er da ausgerechnet Alice heiraten?«
Ich wende mich vom Fenster ab. Diesseits und jenseits der Glasscheibe ist nur Dunkelheit.
»Er weiß es nicht.«
Luisas Schock ist förmlich spürbar. »Wie kannst du so sicher sein?«
»Ich bin es einfach. Er hat keine Ahnung, was zwischen Alice und mir steht. Er weiß nicht, was für eine Art Leben ihn erwartet, wenn Alice die Oberhand behält.«
Sonia beugt sich so weit vor, bis ihr Gesicht von dem durch das Fenster fallenden Licht der Straßenlaternen beleuchtet wird. »Dann musst du es ihm sagen, Lia. Du musst es ihm sagen, musst ihn retten.«
Verzweiflung steigt wie eine Flutwelle in mir auf. »Was, wenn er mir nicht glaubt?«
Sonias Seidenkleid raschelt, als sie den Arm ausstreckt und meine Hand fasst. »Du musst dafür sorgen, dass er dir glaubt. Du musst einfach.«
Ich schaue hinunter auf unsere verschränkten Hände, bleich vor dem Blau von Sonias Kleid und dem Rot von meinem. Ich lehne den Kopf gegen die Rückenlehne des Sitzes und schließe meine Augen. Sehe Alice vor mir, wie sie da wie eine Königin in ihrem prächtigen Gewand aus smaragdgrüner Seide steht, ein lebhafter Kontrast zu dem blutroten Kleid, das ich trage.
Natürlich, denke ich. Natürlich.
In dem dunkelgrünen Kleid, mit James am Arm, ist Alice
die Lia, die ich hätte sein können. Vor meinem geistigen Auge sehe ich uns Seite an Seite inmitten des prächtigen Saals stehen, und selbst ich kann kaum erkennen, welches der beiden Mädchen meine Schwester ist und welches ich.
Nur mit meinem Nachthemd und dem Morgenmantel bekleidet, bleibe ich vor der Tür stehen. Die Kälte des Bodens dringt durch die Sohlen meiner Pantoffeln, und ich zögere, als ich von drinnen Stimmen höre.
Ich habe geduldig gewartet, bis alles im Haus ruhig war, ehe ich mich zu Tante Virginias Zimmer begab, aber es scheint, als hätte ich doch nicht lange genug gewartet. Aber in mein Zimmer zurückkehren will ich nicht. Ich brauche den Rat meiner Tante. Mehr noch: Ich sehne mich nach ihrem Verständnis, denn nur Tante Virginia kann das Entsetzen verstehen, das ich empfand, als ich neben Alice stand und sie mir ihre Verlobung mit James verkündete.
Ich klopfe so leise wie möglich an. Das gedämpfte Säuseln der Stimmen verstummt, und kurz darauf öffnet Tante Virginia mit einem überraschten Ausdruck auf dem Gesicht die Tür.
»Lia! Ich dachte, du wärst längst zu Bett gegangen!« Ihr gelöstes Haar fällt ihr fast bis zur Taille. Sie sieht so jung aus, und mir zuckt das Bild meiner Mutter durch den Sinn, das in Birchwood Manor über dem Kamin hängt. »Komm herein, Liebes.«
Sie tritt zurück, öffnet die Tür noch ein Stück weiter und ich trete ein, wobei ich unwillkürlich nach ihrem Gesprächspartner
Ausschau halte. Ich weiß nicht, wen ich erwarte, aber ganz gewiss nicht Edmund, der gemütlich in einem Lehnsessel und mit einer dicken, dunkelroten Decke über den Beinen vor dem Kamin sitzt.
»Edmund! Was machen Sie denn hier?«
Tante Virginia lacht leise. »Edmund hat mir gerade von Alices Auftauchen auf dem Maskenball erzählt. Ich bin froh, dass du gekommen bist, Lia. Du wirst mir Näheres darüber berichten können.«
Sie wirft Edmund einen Blick zu, und ich habe das Gefühl, dass dies nicht das erste Mal ist, dass sich die beiden mitten in der Nacht zu einem vertraulichen Gespräch in Tante Virginias Zimmer zusammengefunden haben.
Tante Virginia und ich nehmen auf dem
Weitere Kostenlose Bücher