Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
erklungen,
    Eröffnete sich mir der Sterne weiser Rat.
     
    Es kommt die Zeit, da nehm ich Abschied hier auf Erden.
    Ruf das Verhängnis an, das Himmelsfeuer licht.
    Und streb mit Dir zu zweit, du Schwester mein im Tode,
    Dorthin, wohin die Vorgefühle führen mich.
     
    Es herrschte Zufall nie über das Los des Sängers.
    Verschlüsselt im Gedicht die Schicksalsmelodie.
    Denn magisch ist die Kette rätselhafter Klänge,
    Geheime Sprache hütet der Verse Prophetie.
    Prosperos Kommentar lautete: »Du schreibst immer besser. Doch du mußt weniger klügeln und mehr auf deine innere Stimme hören.«
    Nach Gdlewski erbot sich niemand mehr zu deklamieren, man erörterte halblaut das Gehörte, und Petja erzählte derweil seinem Schützling von den übrigen »Anwärtern«:
    »Das da sind Güldenstern und Rosenkranz.« Er zeigte auf rotwangige Zwillinge, die sich beieinander hielten. »Sie sind die Söhne eines Revaler Konditors und besuchen die Handelsschule. Mit dem Dichten klappt es noch nicht bei ihnen, da reimt sich immer nur ›Herz‹ auf ›Schmerz‹. Zwei ernsthafte, besonnene junge Männer, die aus komplizierten philosophischen Erwägungen Anwärter geworden sind und ihr Ziel bestimmt erreichen werden.«
    |53| Colombina erschauerte, als sie sich vorstellte, was für eine Tragödie diese deutsche Zielstrebigkeit für die arme »Mutti« der beiden bedeuten würde, schämte sich jedoch sogleich dieses spießigen Gedankens. Hatte sie doch selber erst kürzlich ein Gedicht geschrieben, in dem behauptet wurde:
    Nur wer zum Ziel strebt ohne Zögern, der
    Trinkt bis zum Grund das Leben, er allein.
    Nicht Haus noch Eltern gibt es für ihn mehr,
    Es gibt nur hellen Perlenglanz im Wein.
    Dann war da noch ein kleiner dicker Brünetter mit langer Nase, die in heftigem Kontrast zu seinem rundlichen Gesicht stand, der wurde Cyrano genannt.
    »Der tüftelt nicht groß«, sagte Petja naserümpfend. »Er kopiert einfach den Stil von Rostands ›Cyrano de Bergerac‹: ›In die Umarmung meiner Liebsten kehr ich nach langem Fernsein heim.‹ Ein Spaßvogel und Possenreißer. Gibt sich alle Mühe, um schnellstens ins Jenseits zu kommen.«
    Diese letzte Bemerkung brachte Colombina dazu, sich den Nachfolger des Witzbolds aus der Gascogne genauer anzusehen. Als Caliban mit kollerndem Baß sein grausiges Machwerk über die Skelette deklamierte, hatte er mit übertrieben ernster Miene zugehört, doch als er den Blick der Neuen auf sich spürte, stellte er plötzlich einen Totenkopf dar: zog die Wangen ein, ließ die Augen vorquellen und schielte einwärts zu seiner eindrucksvollen Nase hin. Colombina prustete vor Überraschung heraus, der Schelm verbeugte sich und guckte wieder konzentriert. Der hatte es eilig ins Jenseits? Der lustige Dickwanst war wohl doch nicht so unkompliziert.
    »Und das ist Ophelia, sie hat bei uns eine Sonderstellung: Prosperos wichtigste Gehilfin. Wir alle werden sterben, doch sie bleibt.«
    |54| Colombina bemerkte das junge Mädchen im weißen Kleid erst jetzt, nach Petjas Worten, und faßte für sie größeres Interesse als für die übrigen Klubmitglieder. Eifersüchtig registrierte sie die weiße, reine Haut, das frische Gesichtchen, die langen gelockten Haare, die so hell waren, daß sie im Halbdunkel weiß wirkten. Sie sah aus wie ein Engel von einer Osterpostkarte. Loreley Rubinstein zählte nicht, die war alt und dick und schwebte über den Wolken, aber diese Nymphe gehörte nach Meinung Colombinas nicht hierher. Sie hatte die ganze Zeit keinen Laut von sich gegeben. Sie stand da mit einer Miene, als hörte sie weder die Gedichte noch die Gespräche, sondern lauschte ganz anderen Tönen; die weit geöffneten Augen blickten durch die Anwesenden hindurch. Was mag die für eine »Sonderstellung« haben? dachte Colombina mißgünstig.
    »Sonderbar ist sie«, äußerte sie ihr Urteil. »Was findet er bloß an ihr?«
    »Wer, der Doge?«
    Petja wollte antworten, doch Prospero hob herrisch die Hand, und alle Gespräche verstummten.
    »Jetzt beginnt das Mysterium, aber unter uns ist eine Fremde«, sagte er, ohne Colombina anzusehen (ihr krampfte sich das Herz zusammen). »Wer hat sie mitgebracht?«
    »Ich, Lehrer«, antwortete Petja aufgeregt. »Das ist Colombina. Ich bürge für sie. Sie hat mir schon vor etlichen Monaten gesagt, daß sie lebensmüde ist und unbedingt jung sterben will.«
    Da richtete der Doge seinen magnetischen Blick auf das Mädchen, und Colombina überlief es heiß und kalt. Oh, wie die

Weitere Kostenlose Bücher