Magier von Moskau
strengen Augen flimmerten!
»Du schreibst Gedichte?« fragte Prospero.
Sie nickte schweigend, aus Furcht, ihre Stimme könnte zittern.
|55| »Trage eine Strophe vor, irgendeine. Dann werde ich sagen, ob du bleiben darfst.«
Ich blamiere mich, gleich blamier ich mich, dachte Colombina wehmütig und klapperte mit den Augen. Was sollte sie vortragen? Fieberhaft ging sie in Gedanken alle ihre Gedichte durch und entschied sich schließlich für eines, auf das sie besonders stolz war – »Blasser Prinz«. Sie hatte es geschrieben in der Nacht, in der sie »Traumprinzessin« gelesen und bis zum Morgen geschluchzt hatte.
Blasser Prinz versengte mit Blicken
Seiner grünen Augen mich ganz.
Deshalb wird nun niemals mehr schmücken
Dich und mich der Hochzeitskranz.
Der »blasse Prinz« – damit meinte sie Petja. So hatte sie ihn in Irkutsk empfunden. Damals war sie noch ein wenig in Kostja Lewonidi verschossen gewesen, der kurz davor stand, ihr einen Antrag zu machen (welch komischer Gedanke jetzt!), und da war Petja aufgetaucht, der blendende Moskauer Arlecchino. Das Gedicht vom »blassen Prinzen« hatte sie geschrieben, damit Kostja Lewonidi begriff: Zwischen ihnen ist alles aus, Marja Mironowa wird nie mehr so sein wie vorher.
Colombina zögerte, ob sie etwas mehr vortragen sollte, damit der Sinn verständlicher wurde. So ging es weiter:
Um die Hand wirst du mich nicht bitten,
Werden vor dem Altar nicht stehn,
Denn der blasse Prinz kam geritten,
Um mit mir nach Moskau zu gehen.
Gottlob trug sie das nicht vor, sonst wäre alles zerstört gewesen.
|56| Prospero gebot ihr mit einer Geste, innezuhalten.
»Der blasse Prinz, das ist natürlich der TOD?« fragte er.
Sie nickte eilig.
»Blasser Prinz … mit grünen Augen …«, wiederholte der Doge. »Interessantes Bild.«
Er schüttelte traurig den Kopf und sagte leise:
»Nun ja, Colombina. Dich hat das Schicksal hergeführt, und dem Schicksal kann man sich nicht widersetzen. Bleibe und fürchte nichts. ›Der TOD ist der Schlüssel, der die Tür zum wahren Glück öffnet.‹ Rate, wer das gesagt hat.«
Sie blickte verwirrt zu Petja, der zuckte die Achseln.
»Es war ein Komponist, der größte aller Komponisten«, soufflierte Prospero.
Colombina kannte keinen Komponisten, der düsterer gewesen wäre als Bach, und hauchte unsicher: »Bach, ja?« Und fügte, eingedenk des peinlichen Irrtums mit Goethe, erläuternd hinzu: »Johann Sebastian, ja?«
»Nein, das hat der strahlende Mozart gesagt, der Schöpfer des ›Requiem‹«, antwortete der Doge und wandte sich ab.
»So, jetzt gehörst du zu uns«, wisperte hinter ihr Petja. »Ich habe so um dich gezittert!«
Er guckte wie ein Geburtstagskind, glaubte wohl, da nun die von ihm mitgebrachte Kandidatin das Examen bestanden hatte, werde auch sein Status unter den »Liebhabern« steigen.
»Also.« Prospero wies einladend auf den Tisch. »Bitte Platz zu nehmen. Wir wollen hören, was uns die Geister heute zu sagen haben.«
Ophelia setzte sich auf den Stuhl rechts vom Dogen. Die |57| übrigen nahmen ebenfalls Platz, legten die Hände auf das Tischtuch und spreizten die Finger, so daß die kleinen Finger einander berührten.
»Das ist eine spiritistische Figur«, erklärte Petja. »Sie heißt ›das magische Rad‹.«
Spiritistische Sitzungen waren auch in Irkutsk bekannt. Colombina hatte zweimal am Tischrücken teilgenommen, aber das war eher ein lustiges Spiel gewesen, ähnlich wie das Ratespiel in der Christwoche; dauernd hatte jemand geprustet, geächzt, gekichert, und Kostja hatte die Dunkelheit genutzt, um ihr den Ellbogen zu drücken oder die Wange zu küssen.
Hier dagegen war alles ernst. Der Doge löschte die Kerzen, es blieb nur der Widerschein des Kohlenbeckens, so daß die Gesichter der Anwesenden unten rot und oben schwarz aussahen, als hätten sie keine Augen.
»Ophelia, dies ist deine Stunde«, sprach der Doge mit schallender tiefer Stimme. »Gib uns ein Zeichen, wenn du das Jenseits hörst.«
Guck an, ein richtiges Medium, begriff Colombina. Darum sieht sie aus wie eine Somnambule.
Das Gesicht der hellblonden Nymphe war unbeweglich und ohne jeden Ausdruck, die Augen waren geschlossen, nur die Lippen zuckten ab und zu, als flüsterten sie lautlose Beschwörungen.
Plötzlich spürte Colombina ein Kribbeln über die Finger laufen, und die Wangen streifte ein kühler Luftzug. Ophelia hob die langen Wimpern und warf den Kopf zurück, und die geweiteten Pupillen ließen die Augen schwarz
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